Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
Fortschritte.Als ich im Juni meine letzte Stunde bei ihr hatte, konnte ich bereits Stücke für Fortgeschrittene spielen, und als wir uns verabschiedeten, lobte sie mich sogar.
    »Aus dir hätte etwas werden können«, sagte sie, »aber das ist heute vorbei, Paula. Jetzt bleibt nur noch Hausmusik.«
    »Schon wieder eine verpasste Chance«, lachte ich, »ich hätte dich eher kennenlernen sollen, Marion. Aber damals fehlte mir das Geld.«
    »Du willst ja malen. Du wirst schon deinen Weg machen.«
    »Ja«, sagte ich, »ja, und keiner wird mich aufhalten.«
    Zum Abschied küssten wir uns. Ich habe Marion nie wieder gesehen, das Klavierspiel aber gab ich nicht auf, es half mir beim Überleben.

    Sibylle Pariani kam auch in meinem letzten Studienjahr einige Male zu unseren Abenden. Sie war sehr freundlich zu mir, einmal legte sie eine Hand auf meine Schulter, nahm sie aber, als sie bemerkte, wie ich zusammenzuckte, rasch wieder weg. Zehn Tage vor Pfingsten rief sie mich an und fragte, was ich über die Feiertage machen würde. Ihr Mann sei für drei Wochen in Nordkorea, China und Japan, sie sei also Strohwitwe und würde gern in ihr Haus nach Ahlbeck auf Usedom fahren. Wenn ich Zeit und Lust hätte, wäre ich eingeladen, und falls Waldschmidt dafür zu gewinnen sei, so sei er selbstredend ebenfalls willkommen.
    »Ich werde Freddy fragen«, sagte ich, »ich rufe zurück.«
    Ich fragte Waldschmidt nicht, und ich erzählte ihm nichts von Sibylles Einladung, ich hatte selbst auf einen Kurzurlaub mit ihm keine Lust. Ich wollte zwei, drei Tage abwarten und ihr dann absagen, aber amnächsten Vormittag zeigte mir Waldschmidt einen Brief, ein Verleger, der ihn mit einem Ölbild für seinen Verlag beauftragt hatte, lud ihn über Pfingsten zum Segeln ein. Waldschmidt fragte mich, ob ich mitfahren wolle, ich schüttelte den Kopf, und er versuchte erst gar nicht, mich zu dem Segeltörn zu überreden. Auch er wollte Pfingsten lieber ohne mich verbringen. Ich rief Sibylle an, um ihr abzusagen, und wollte dafür die Einladung des Verlegers als Vorwand benutzen. Doch als sie sich meldete und so begeistert war, meine Stimme zu hören, stach mich der Hafer, und ich erzählte ihr, dass Waldschmidt allein verreisen werde und ich gern für zwei, drei Tage in ihr Haus komme würde. Meine Antwort kam für sie wohl unerwartet, sie schien überrascht zu sein und schwieg zwei lange Sekunden.
    »Dann müssen wir zwei überlegen, was wir dort kochen wollen«, sagte sie schließlich. »Wir sollten einiges aus Berlin mitnehmen, denn man weiß nie genau, was es dort gibt. Wenn einer von uns ganz früh aufsteht, können wir am Strand bei den Fischern Fisch kaufen. Du isst doch Fisch, oder?«
    »Natürlich. Sehr gern.«
    »Dann machen wir zwei uns ein paar schöne Tage. Ich freue mich darauf, Paula. Fährst du mit dem Auto hoch?«
    »Ich weiß nicht. Sicherlich braucht Freddy das Auto.«
    »Wenn du mit der Bahn kommst, gib mir Bescheid. Dann hole ich dich ab.«
    Nachdem ich den Telefonhörer aufgelegt hatte, sagte ich zu mir: Paula, Paula, was hast du vor, was stellst du nur an? Ich war von meiner eigenen Courage überrascht und lachte, weil ich Angst hatte. Aber dann dachte ich an Waldschmidt und war mit mir und meiner Entscheidung sehr zufrieden.
    Bevor Waldschmidt zu seiner Segeltour aufbrach, fragte er, ob ich die Pfingsttage in Berlin bliebe.
    »Nein«, erwiderte ich, »Sibylle Pariani hat mich in ihr Haus an der Ostsee eingeladen. Ich denke, ich werde für zwei Tage zu ihr fahren.«
    »Zu Sibylle? Ist ihr Mann auch dort? Ist der nicht in Japan?«
    »Soviel ich weiß, ist er verreist.«
    »Sag mal, hast du was mit Sibylle? Läuft da irgendetwas?«
    Ich blickte ihn verächtlich an und verließ das Zimmer. Am Abend fing er noch einmal an, über meine Fahrt zu Sibylle nach Ahlbeck zu reden. Er meinte, es sei ihm schon lange aufgefallen, dass wir zwei uns sehr gut verstehen würden, wir würden auf jeder unserer Gesellschaften nebeneinanderhocken, und Sibylle sei regelrecht in mich verliebt, das könne jeder sehen. Er sei großzügig und wenn ich eine kleine lesbische Neigung nebenbei hätte, könne er durchaus damit leben, aber ich solle es ihm gefälligst sagen, er wolle nicht wie ein Idiot dastehen. Ich funkelte ihn nur wütend an und biss mir auf die Lippe, um nichts zu antworten.
    Am Tag darauf bekam ich Manschetten vor meinem Entschluss und überlegte, doch noch abzusagen. Ich griff zum Hörer und rief sie an, aber als sie sich meldete, fragte ich

Weitere Kostenlose Bücher