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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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sich die vorbeigleitende Landschaft an und war glücklich, als es schließlich auf einen Fensterplatz rücken konnte.
    Der Großvater holte seine Enkelin mit der Pferdekutsche von der Bahnstation ab. Er hätte einen Nachbarn bitten können, das Mädchen vom Bahnhof in der Stadt abzuholen, einen Nachbarn, der ein Auto besaß, aber es fiel ihm schwer, andere um einen Gefallen zu ersuchen, er war es müde, an die Tür eines Nachbarn zu klopfen und um etwas zu bitten. Außerdem wusste er, dass Paula das Pferd und all seine anderen Tiere liebte, und so hatte er den alten Landauer herausgeholt und geputzt, hatte Lisa eingespannt und war in die Stadt gefahren. Er freute sich, als Paula ihn und das Pferd stürmisch begrüßte, ließ sich von der Enkelin auf den Kutschbock helfen, und dann machte er sich mit ihr auf den langen Heimweg. Er erkundigte sich nach ihren Eltern und Geschwistern, fragte nach der Schule und beantwortete geduldig alle Fragen. Sie waren schon fast daheim, als der Himmel plötzlich dunkel wurde und sehr rasch ein Gewitter aufzog. Der Großvater lenkte den Wagen von der Straße, sicherte die Kutsche zusätzlich mit Feldsteinen, deckte die Stute mit einer alten Plane ab und setzte sich mit dem Mädchen in den überdachten hinteren Teil, bis das Gewitter vorübergezogen war. Als es nur noch tröpfelte, trockneten sie gemeinsam das Pferd und den Kutschbock ab und fuhren weiter.
    Die Großmutter saß im Wohnzimmer. Seit demSchlaganfall sprach sie so leise und unverständlich, dass man nur schwer erfassen konnte, was sie wünschte. Sie sah Paula an, als diese sie begrüßte und von den Eltern erzählte, sie lächelte und nickte erfreut, aber Paula wusste nicht, ob die Großmutter überhaupt etwas von dem verstand, was sie ihr sagte. Sie streichelte die dürren Hände, die auf einer Decke lagen, dann erklärte sie der alten Frau, dass sie ihren Koffer auspacken und dem Opa helfen muss, und verließ das Schlafzimmer.
    »Hast du ihr guten Tag gesagt?«, fragte der Großvater, der neben dem Küchenherd stand und Kartoffeln kochte.
    Paula nickte.
    »Ich weiß nicht, ob sie mich verstanden hat«, sagte sie schließlich.
    »Doch, doch, sie versteht alles. Hast du nach den Tieren geschaut?«
    »Die Kaninchen sind nicht da. Ihre Boxen sind leer.«
    »Ja, die gibt es nicht mehr. Das war mir einfach zu viel.«
    »Hast du sie geschlachtet, Opa?«
    »Nein, Paula, ich habe sie weggegeben. Ich kann nicht mehr schlachten. Wozu brauche ich da noch die Karnickel?«
    Er ging zum Kühlschrank, entnahm ihm ein kleines Päckchen und hielt es dem Mädchen entgegen.
    »Ich habe Bratwürste für uns gekauft. Wollen wir Bratwurst mit Kartoffeln essen? Und dazu Sauerkraut aus dem Fass?«
    Paula nickte und sagte, sie würde den Kartoffelbrei machen. Verwirrt und beklommen schaute sie zu, wie ihr Großvater seiner Frau behilflich war, aus dem Wohnzimmer in die Küche zu kommen. Er rückte sie an den Tisch zurecht, band ihr ein Küchenhandtuch um und schnitt die Wurst für sie. Manchmal sagte die Großmutter etwas,murmelte ein paar Worte vor sich hin. Paula schaute dann fragend ihren Großvater an, aber der nickte ihr nur beruhigend zu und reagierte nicht auf das Gemurmel seiner Frau.
    Nach dem Abendbrot bezog Paula in einem Zimmer im oberen Stock ihr Bett und packte die mitgebrachten Sachen aus. Als sie damit fertig war, ging sie ins Wohnzimmer hinunter. Großvater stand in der Küche und wusch die Teller im Spülbecken. Das kalte Wasser tröpfelte aus dem Hahn auf die daruntergehaltenen Teller, und der Großvater wischte mit einer Wurzelbürste darüber.
    »Wollen wir zusammen fernsehen? Bei deinem Opa kannst du dir auch das Westfernsehen anschauen. Das darfst du daheim sicher nie. Oder willst du mit mir etwas spielen?«
    »Ich spiele lieber.«
    »Dann geh, such ein Spiel heraus und bau schon die Figuren auf.«
    »Spielt Oma mit?«
    »Nein, Kind. Deine Oma macht sich zur Nacht fertig. Das dauert eine Stunde. Wenn sie im Bett liegt, gehst du ihr gute Nacht sagen.«
    Sie waren mitten im Spiel, als es leise donnerte und die Zimmerwände zu erzittern schienen. Paula schreckte zusammen und sah aus dem Fenster in die dunkle Nacht, aber der Großvater beruhigte sie: »Das ist die Lisa. Das alte Mädchen rappelt mit den Hufen gegen die Wand, aber das macht sie im Schlaf. Träumt wohl schlecht. Bist du nicht müde, Paula? Wir sollten ins Bett gehen.«
    »Mutter hat gesagt, dass du und Papa seit zwanzig Jahren nicht mehr miteinander geredet

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