Frau Paula Trousseau
einziges Glas Wein, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte. Als wir die Hamburger kurz vor Mitternacht zum Bahnhof Friedrichstraße brachten, war noch nichts entschieden. Ein unverbindliches ›Wir hören voneinander‹ war das Einzige, was Stefan versprach. Auf dem Weg zu meiner Wohnung, noch im Auto, fiel seine Beherrschung in sich zusammen, er befragte mich fortwährend nach meinen Eindrücken von dem Gespräch, wiederholte nervös Sätze von Stefan und dachte über deren Sinn und versteckte Bedeutungen nach. Er wollte unbedingt diese eine Rolle, er war offensichtlich zu allem bereit oder doch zu sehr vielem, um in diesem Film mitzuspielen. Als wir vor meiner Haustür standen, küsste er mich auf die Wange und sagte: »Drück mir die Daumen, Paula. Diese Rolle muss ich bekommen.«
»Ich habe ein gutes Gefühl, Jan. Stefan hat diese Rolle längst mit dir besetzt«, erwiderte ich. »Hast du das nicht bemerkt? Er braucht dich jetzt.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, flüsterte er mit geschlossenen Augen.
»Komm mit. Komm mit nach oben«, sagte ich, »darauf trinken wir ein Glas.«
Jan war überrascht. Er sah mich an, als glaubte er, sich verhört zu haben. Ein schmales Lächeln glitt über seinGesicht, dann sagte er beiläufig: »Schön, einverstanden. Auf einen Sprung komme ich noch zu dir hoch.«
Wir tranken ein Glas Wein. Als er mich umarmte und küsste, wehrte ich ihn nicht ab. Behutsam nestelte er an den Knöpfen meiner Bluse, wobei er mir fortgesetzt in die Augen sah, als misstraue er noch immer meiner Einladung und erwarte jeden Moment, verabschiedet zu werden. Ich zog mich im Bad aus. Als ich im Bademantel zurückkam, saß er noch immer am Tisch und hatte lediglich sein Jackett ausgezogen. Ich machte das Bett zurecht, ließ den Bademantel fallen und schlüpfte unter die Decke. Er betrachtete mich genauestens.
»Was ist?«, erkundigte ich mich, »ist der Herr indisponiert? Willst du nach Hause gehen? Tu, was du möchtest, ich habe nicht vor, dich zu irgendetwas zu zwingen.«
Er lächelte, streifte die Schuhe ab und stand auf. Dann zog er sich langsam aus, sehr langsam. Knopf für Knopf öffnete er sein Hemd, streifte es vom rechten Arm ab, zog es vom linken herunter, schwenkte es über den Kopf und ließ es anschließend achtlos fallen. Dann legte er sein Unterhemd ab, zentimeterweise schob er es über den Oberkörper hoch, riss es mit einer raschen Bewegung über den Kopf und wirbelte es zweimal durch die Luft. Er veranstaltete für mich einen Strip, selbstbewusst und gekonnt. Es schien, als würde er mich dabei überhaupt nicht anschauen, sondern wäre ganz auf das Ausziehen konzentriert. Erst als er völlig entkleidet war, sah er mich an. Er hatte jetzt etwas von einem Schuljungen, dem ein toller Streich gelungen war und der auf die fällige Anerkennung wartete.
»Was für eine hübsche Überraschung«, sagte ich und schlug einladend die Bettdecke zurück. Er kam zu mir. Er war sehr zärtlich. Als hätte er Angst, dass ich ihn zurückstoße, war er sehr behutsam. Er blickte mir fortwährendin die Augen, während er mich streichelte, meinen Körper erkundete und schließlich in mich eindrang. Erst dann schloss er die Augen.
»Du bist einfach unglaublich, Paula«, sagte er, »unglaublich schön und unglaublich unbegreiflich. Um ehrlich zu sein, ich hatte die Hoffnung aufgegeben. Woher kommt der Sinneswandel? Dieses Treffen mit den Hamburgern?«
»Nein. Gewiss nicht. Aber du warst heute Abend so hilflos. Du wirktest fast verletzlich, das rührte mich.«
»Mitleid, Madame? Habe ich das große Ereignis lediglich einer Rolle zu verdanken, die ich möglicherweise nicht bekommen werde?«
»Du hast heute Abend nicht unentwegt gespielt. Heute warst du einmal der, der du in Wahrheit bist.«
»Und wenn auch das nur gespielt war? – Warum lächelst du? Woran denkst du, Paula?«
»An ein kleines Mädchen. An ein kleines Mädchen, das ich einmal gekannt habe.«
»Kenne ich sie? Hat sie etwas mit uns beiden zu tun?«
»Nein, du kennst sie nicht. Und sie hat nichts mit dir zu tun. Sie kam mir nur so in den Sinn.«
Die neue, noch verpackte Zahnbürste nahm er am nächsten Morgen ironisch lächelnd entgegen. Ich wusste, was er dachte, und warf ihm einen warnenden Blick zu. Meinen zornigen Blick mit dem eiskalten Lächeln, wie mal ein Kommilitone sagte. Eine dumme Bemerkung, dachte ich, und du verlässt das Haus ohne Frühstück. Doch Jan blieb zurückhaltend. Wir tranken Kaffee und danach noch eine Kanne Tee,
Weitere Kostenlose Bücher