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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Bett und hörte sie im Nebenzimmer hantieren. Sie zog sich den Bademantel und die Filzschuhe an und ging zu ihr ins Wohnzimmer. Die Mutter saß im Sessel und starrte vor sich hin, wandte den Kopf nicht zur Tür, als Paula eintrat. Auf dem Tisch stand eine Schnapsflasche und ein leeres Glas.
    »Was ist? Ist er tot?«, fragte Paula.
    Ihre Mutter atmete schwer und fasste sich hilflos an den Kopf.
    »Was ist denn? Sag etwas.«
    Ihre Mutter drehte den Kopf zu ihr und sah sie an. Ihre Augen blickten stumpf, Paula wusste nicht, ob ihre Mutter sie wahrnahm. Sie ging auf sie zu und griff nach ihrem Arm.
    »Bitte, Mama, trink nicht. Es war so schön, als du nicht getrunken hast. Wir schaffen es doch auch allein, Mama, du und ich und Clemens.«
    »Dumme Gans«, sagte Mutter und goss sich Schnaps ein.
    »Ist er tot?«, fragte Paula nochmals. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    »Tot?«, wiederholte ihre Mutter, »oh nein, er ist nicht tot. Er kann laufen, er kann sprechen, er kann sich bewegen. Er hat mich auch schon wieder beschimpft. Und in vier Wochen haben wir ihn zurück. Spätestens in vier Wochen, sagte der Arzt.«
    Dann sank sie in einen Sessel zurück, reglos, wortlos, verzweifelt.
    »Er hat es geschafft. Er ist wieder gesund. In vier Wochen ist er bei uns.«
3.
    Der Ausstellungstermin rückte immer näher, und in der Aufregung vergaß ich fast, dass ich schwanger war. Ich hatte noch an zwei Bildern für Altenburg zu arbeiten und musste die endgültige Auswahl treffen. Stephanie Mebus hatte mich bereits zweimal besucht und war vier Tage vor dem Dreiundzwanzigsten nochmals zu mir gekommen, um mir den Katalog zu übergeben. Es war ein kleines Heft von acht Seiten mit vier Bildern und einem kurzen Text. Die Reproduktionen konnten aus Kostengründen nur schwarzweiß sein, ich hatte deshalb gemeinsam mit Stephanie die dafür geeigneten Bilder ausgesucht, eine Federzeichnung, eine Tuschzeichnung und zwei Ölbilder, von denen wir vermuteten, ihre Komposition sei trotz der fehlenden Farben deutlich erkennbar. Stephanie, wir duzten uns inzwischen, hatte als Galerieleiterin ein knappes Vorwort geschrieben, und von Bernd Riecker, der fünf Jahre vor mir an der Kunsthochschule studiert hatte, nach demStudium aber das Malen völlig aufgegeben und sich einen Namen als origineller und provozierender Kunstwissenschaftler gemacht hatte, stammte der freundliche Text über meine Arbeiten. Auf der vorletzten Seite standen ein paar biografische Angaben über Riecker und mich.
    Bernd Riecker, so war es verabredet, würde am dreiundzwanzigsten September auch die Eröffnungsrede halten. Er war ein einziges Mal bei mir zu Besuch gewesen, hatte sich eine halbe Stunde lang Bilder zeigen lassen, sich ein paar Notizen gemacht und war dann gegangen. Mit mir hatte er kaum geredet und zu meinen Arbeiten gar nichts gesagt. Er ließ mich spüren, dass es eine große Ehre für mich sein müsse, wenn er sich meine Bilder anschaue und über sie schreiben werde. In dem Text für den Katalog fand ich mich nicht wieder. Da standen sehr allgemeine und austauschbare Sätze, die ebenso gut auf jeden anderen Maler zutrafen, Sätze aus dem Handbuch für Kritiker, falls es so etwas geben sollte, die üblichen Termini der Kritikerprofis, mit denen sie ihre Bildung beweisen und Eindruck schinden wollten. Er lobte besonders Konzeption und Aufbau meiner Arbeiten, die mich nie sonderlich interessiert hatten. Über meine Farben sagte er nichts, er hatte überhaupt nichts gesehen. Er rühmte mich als Ausnahmeerscheinung und großes Talent, ein Urteil, das ihm sicherlich wenig bedeutete, für mich aber hilfreich sein konnte.
    Stephanie war stolz auf den kleinen Katalog, der ihr viel Arbeit gemacht hatte, und sie hatte erwartet, dass ich vor Entzücken ganz aus dem Häuschen geriet. Ich tat ihr den Gefallen, schließlich hatte sie mir die erste Personalausstellung verschafft, obwohl ich mir von dem Katalog viel mehr versprochen hatte. Schon das Wort Katalog schien mir für dieses Heftchen mehr als unpassend zu sein, und auf die Reproduktionen warf ich nur einen raschen Blick,um sie mir nie wieder anzusehen, doch ich wusste, wie schwierig es für Stephanie und ihre Galerie war, selbst diese armselige Broschüre zu drucken, und so umarmte ich sie, lobte mehrmals das Heftchen und bedankte mich überschwänglich. Ich musste ihr ja wirklich dankbar sein, sagte ich mir.
    Die Bilder für die Ausstellung hatte ich bis auf zwei bereits verpackt und trug sie mit Stephanie zu ihrem

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