Frau Paula Trousseau
Michael sich frühmorgens meldete, spätestens um sieben Uhr, häufig früher. Ich wurde geradezu häuslich, eine ordentliche deutsche Hausfrau und Mutter, mit geregelten Essenszeiten und genauem Tagesablauf. Mehr als eineinhalb Jahre lang verließ ich abends nicht das Haus. Kathi hatte mir zwar angeboten, sich in solchen Fällen um Michael zu kümmern, aber als ich ihn ihr einmal überließ, um ins Kino zu gehen, war ich bereits eine Stunde später wieder daheim. Ich hatte im Kino gesessen und bemerkt, dass ich nichts von dem Film mitbekam, sondern nur an den Kleinen dachte. Daraufhin hatte ich den dunklen Kinosaal verlassen, um rasch nach Hause zu gehen.
Ich wollte bei ihm nicht die gleichen Fehler machen wie bei Cordula, ihm wollte ich all das geben, was ich meiner Tochter zu geben nicht imstande gewesen war, was ich als Kind nie erlebt hatte. Dafür wollte ich zurückstecken und war bereit, Rücksicht zu nehmen. Ich musste es mir immer wieder sagen, weil es mir schwerfiel. Ich spürte, dass es mir vollkommen genügt hätte, ihn gut zu versorgen, ihn aufzuziehen. Manchmal, wenn ich von jungen Müttern hörte, die ihr Kind zeitweise oder auch für Monate den Großeltern überließen, sehnte ich mich nach einem anderen Leben, spielte ich mit dem Gedanken, das Kind abzugeben, doch zu meinem und Michaels Glück gab es außer Kathi keinen Menschen, dem ich den Kleinen überlassen konnte. Denn anfangs zog mich nichts zu meinem Kind hin, nichts; nur mein Stolz und mein fester Wille, dem Kleinen mehr zu geben, als ich je empfangen hatte, nötigten mich, das Kind auf den Arm zu nehmen, eszu streicheln, mit ihm zu reden, mich selbst zu bekämpfen. Ich zwang mich, ihn zu lieben, zwang mich, meine unguten Gefühle zu unterdrücken, den Kleinen entgegen meinen Gefühlen zu herzen und zu küssen. Und diesen Kampf habe ich gewonnen, einen Kampf gegen mich und für meinen Sohn.
Als er zweieinhalb, drei Jahre war, änderte sich mein Verhalten zu Michael, musste ich mich nicht mehr zu Freundlichkeiten zwingen, ich lächelte ihn an, ohne dass ich mich dafür anstrengen musste, ich nahm ihn auf den Schoß, und es gefiel mir. Vielleicht war ich zuvor mit ihm wie eine Halbwüchsige mit einem Kleinkind umgegangen, vorsichtig, aber gelangweilt, vielleicht hatte ich Zeit gebraucht, um für ihn eine Mutter zu sein, eine Mutter, wie ich sie sein wollte.
Mit dem Dreijährigen wurde es wunderbar. Michael war aufgeschlossen und liebevoll, er besaß Humor, über seine Späße konnte ich noch spätnachts und allein in meinem Bett laut lachen. Und er liebte mich, er liebte seine Mama. Vielleicht hatte seine Liebe die meine geweckt. Er hatte meine Unfähigkeit besiegt, er hatte mich zu seiner Mutter erzogen, bevor er Schaden nahm.
Kathi bemühte sich immer wieder, mich zu verkuppeln. Sie selbst war auf der Suche nach einem tauglichen Objekt, wie sie sagte. Auf dieser Suche war sie, seit ich sie kannte. Die Damen aus dem neunzehnten Jahrhundert, bei denen es anscheinend üblich war, ihr Taschentuch auf den Boden fallen zu lassen, um einen möglichen Liebhaber auf sich aufmerksam zu machen, müssten erbleichen angesichts von Kathis Einfällen, sich in Szene zu setzen. Sie ging raffiniert und taktisch vor. Zunächst taxierte sie die Eigenheiten jedes Mannes, den sie haben wollte, um dann ein speziell auf ihn ausgerichtetes Annäherungsprogramm zu entwickeln. Man müsse den Männern dasGefühl vermitteln, sie hätten die Wahl getroffen. Kathi war äußerst einfallsreich und verwandte unglaublich viel Zeit und Energie darauf, Männer dazu zu bringen, sich für sie zu interessieren. Für sie war die Jagd das Vergnügen, war das Opfer in der Falle, verlor sie rasch das Interesse.
Seit Michael zwei Jahre alt war, brachte ich ihn in einen Kindergarten. Täglich zehn vor acht ging ich wochentags mit ihm aus der Wohnung, brachte ihn in ein altes Haus am Monbijoupark, und konnte dann bis vier Uhr nachmittags ungestört arbeiten. Mit der Arbeit wurde es Jahr für Jahr ein klein wenig besser für mich, jeder Auftrag eröffnete weitere Möglichkeiten, die Teilnahme an Ausstellungen bedeutete größere Bekanntheit, und auch der Künstlerverband vermittelte mir gelegentlich eine annehmbare Auftragsarbeit. Meine wichtigsten Partner waren die Verlage. Das große Märchenbuch wurde zu einem der besten Bücher des Jahres gewählt, die Typographie und Ausstattung wurden besonders hervorgehoben, womit wieder einmal Bremstätter eine Auszeichnung erhielt, aber auch
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