Frau Paula Trousseau
Grund sah, etwas zu ändern. Gerda Heber hatte mir vier Wochen Zeit gegeben, aber die Zeit ging dahin, ohne dass ich mich an meinen Zeichentisch gesetzt hätte. Ich hatte kein Bedürfnis danach, das Buch und der Verlag und meine gesamte Arbeit waren mir völlig gleichgültig. Drei Tage vor dem Ablieferungstermin rief Gerda Heber an, ich versprach ihr, die Blätter vorbeizubringen. Nachts um zwei, als ich Michael stillte, hatte ich die erlösende Idee. Ich erzählte es Michael, und am nächsten Morgen nahm ich eins der abgelehnten Aquarelle, deckte es teilweise mit Zeichenblättern ab, und als ich sah, dass es funktionierte, schnitt ich mit dem Messer fast ein Drittel des Bildes weg. Ich hatte das eigene Bild kastriert. Nun war es gefällig, lieblich, belanglos. Deine Mutter ist eine Barbarin, sagte ich zu dem Kleinen, schau dir an, was sie aus dem schönen Bild gemacht hat. Er verzog den Mund und ich lachte. Ich packte ihn in den Kinderwagen und ging zum Verlag, um die drei Bilder abzugeben. Gerda Heber bemerkte gar nichts, sie war sehr zufrieden. Ich suchte mit ihr die Cheflektorin auf, die sich minutenlang mit Michael beschäftigte, bevor sie die neuen Illustrationen in Augenschein nahm. Sie sah sofort, was ich mit dem Aquarell angestellt hatte.
»Ja, so geht das natürlich auch«, sagte sie, »ist aber ungewöhnlich. Sehr, sehr ungewöhnlich. So etwas habe ich noch nie erlebt, Frau Trousseau. Ist es Ihnen schwergefallen?«
»Ja«, sagte ich knapp, »es war vorher besser.«
»Ach Kindchen«, sagte sie, »es zählt nur, was sich durchsetzt. Was ich durchsetzen kann. Warum sollten Eltern ihren Kindern grausame und brutale Bilder kaufen? Man würde mich und das zuständige Ministerium mitempörten Briefen bombardieren. Ein wenig Zurückhaltung, Frau Trousseau, ist auch in der Kunst notwendig, sonst werden Sie sich eines Tages noch beide Ohren brechen.«
Das Buch erschien zwei Jahre später. Bremstätter hatte sich sehr angestrengt und es war ganz wunderbar geworden, ich konnte mit den Reproduktionen mehr als zufrieden sein. Als die Belegexemplare eintrafen, nahm ich eins, setzte mich zu Michael auf den Boden, um es ihm zu zeigen. Ich sagte ihm, dies sei eine Arbeit seiner Mama, und zeigte ihm Seite für Seite die Bilder. Plötzlich riss er eine Seite des Buches heraus. Als ich sah, dass es ein Blatt jener drei Arbeiten war, die ich nachzuliefern hatte, lachte ich laut auf und küsste ihn ab. Michael war wirklich ein Lebenspartner.
7.
Langsam, aber kontinuierlich setzte ich mich durch. Mein Name war ein wenig bekannt geworden, und ich galt, wie ich mehrfach hörte, als hochbegabt, jedoch schwierig. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich bei Stephanie Mebus eine Einzelausstellung bekommen und Bernd Riecker sie eröffnet hatte. Ich wurde umstandslos Mitglied im Künstlerverband, erhielt gelegentlich Einladungen zu Pleinairs und Arbeitsaufenthalten, aber wegen Michael musste ich meistens absagen. Meine Eltern wollte ich nicht bitten, ihren Enkel für zwei oder drei Wochen zu sich zu nehmen. Zu zwei internationalen Treffen in Ungarn und Polen konnte ich fahren, da Kathi in diesen Wochen meinen Kleinen betreute. Kathi war mir eine große Hilfe, sie war eine wirkliche Freundin. Sie war ebenso verliebt in Michael wie ich und brachte mir jede Woche etwas aus demWarenhaus vorbei und spielte mit meinem Sohn, für den sie mit den Jahren zum Familienmitglied wurde. Manchmal übernachtete sie bei mir. Dann legten wir uns mit Michael ins Bett, dem Kleinen gefiel es, nicht nur bei seiner Mama zu liegen, sondern auch seine geliebte Kathi bei sich zu haben. Wenn er eingeschlafen war, brachten wir ihn gemeinsam in sein Bett, um uns dann zart und leise zu lieben.
Ich war mit Kathi lieber zusammen als mit jedem Kerl. Gelegentlich ergab sich zwar ein Verhältnis, lernte ich einen Mann kennen. Ich hatte dann zwei, drei Verabredungen mit ihm, doch in der Regel störte mich irgendetwas an ihm, wodurch die Sache zu einem raschen Ende kam.
Einige wenige Beziehungen dauerten ein paar Monate, ein halbes Jahr. Sie waren allerdings auch nicht wichtig für mich, und vielleicht hielten sie nur etwas länger, weil diese Männer mich weniger als die anderen bedrängten, meine Freiräume zunächst akzeptierten und mich in der ersten Zeit nicht mit Eifersüchteleien behelligten. Es gab da einen Bildhauer, den ich seit langem schätzte und der mir bei einer Versammlung über den Weg lief, einen zwei Jahre jüngeren Mann aus der Nachbarschaft, den
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