Frau Paula Trousseau
durch den kleinen Park des Stadtbezirks oder fuhren mit Heinrichs oder meinem Auto in die Umgebung, wir lebten zusammen wie eine normale kleine Familie. Ein Jahr nachdem ich Heinrich kennengelernt hatte, machten wir sogar gemeinsam Urlaub, in einer Pension an der polnischen Ostseeküste. Heinrich hatte uns den Urlaubsplatz preiswert besorgen können, er hatte zwei Jahrezuvor für die Besitzerin der Pension irgendwelche illegalen Geschäfte mit Baumaterialien getätigt.
9.
Ein halbes Jahr nach seiner Einschulung bekam Michael eine Grippe, die nach einer Woche fast überstanden schien, als plötzlich die Temperatur beängstigend stieg und wir ihn ins Krankenhaus einliefern mussten. Anfangs gab es sogar einen Verdacht auf Tuberkulose, und er musste zehn Tage in eine Quarantänestation. Dann wurde ein chronischer Katarrh festgestellt, die Ärzte empfahlen, die Großstadt zu verlassen und aufs Land zu ziehen, am heilsamsten sei die See oder das Gebirge, denn die Erkrankung würde durch jede weitere Infektion schwieriger und gefährlicher werden. Wir beschlossen, dem Kind zuliebe aufs Land zu ziehen.
Heinrich war sehr rührig, er verschaffte uns über seine zahllosen Bekannten aus dem Baugewerbe innerhalb weniger Tage die Adressen mehrerer leerstehender Gebäude. Im April und Mai fuhren wir an jedem Wochenende über die Dörfer, um uns aufgelassene Bauernhöfe anzuschauen und Häuser, in denen ältere Ehepaare oder Verwitwete wohnten, die ihr Eigentum verkaufen und zu ihren Kindern oder in ein Altersheim ziehen wollten. Fast alle Gebäude waren heruntergewirtschaftet, es war mehr als offensichtlich, dass seit Jahren nichts mehr repariert und ausgebessert worden war. Die alten Leute besaßen nicht mehr die Kraft dazu, oder es fehlten ihnen die Mittel, und bei den aufgegebenen Häusern hatte außer dem Zahn der Zeit der Vandalismus der Dorfjugend zusätzlich gewirkt. Zwei Bauernhäuser gefielen uns auf den ersten Blick, doch sie waren sehr teuer und es gab Bewerber für sie, denenes auf einen Tausender mehr oder weniger nicht ankam. Wir fanden schließlich in Kietz ein Bauernhaus aus den dreißiger Jahren, in dem nur noch eine alte Frau lebte, die zu ihrer Tochter ziehen wollte. Vierzehn Tage später riefen wir die Tochter an, um unser Kaufinteresse zu bekräftigen und sie zu bitten, für ihre Mutter einen Notartermin zu vereinbaren, und dabei erfuhren wir, dass die alte Frau drei Tage nach unserem Besuch gestorben war. Einen Monat später trafen wir uns mit der Tochter in dem Haus, übergaben die vereinbarte Summe und konnten das Grundstück am gleichen Tag übernehmen.
Den Kaufpreis für das Haus musste ich bezahlen. Heinrich besaß keinen Pfennig, sein Konto war zweimal in jedem Monat im Minus, dafür übernahm er den Um- und Ausbau. Mitte Juni zog er mit einer Matratze und ein paar Habseligkeiten in das leergeräumte Haus und begann abzureißen und aufzubauen. An den Wochenenden bekam er Hilfe, zwei Landarbeiter aus dem Ort kamen am Sonnabend und Sonntagmorgen, und gelegentlich erschienen Freunde und Kollegen, die ihn unterstützten. Unter der Woche werkelte er ganz allein an dem Haus. Mein gesamtes Geld musste ich in dieses Haus stecken, immerzu waren Baumaterialien zu bezahlen oder kleine Summen nötig, um einen Bauarbeiter zu bewegen, nach Feierabend mit seiner Maschine auf unserem Hof zu erscheinen, um schwere Arbeiten auszuführen. Allein das Benzingeld, das Heinrich brauchte, um von überall her das dringend benötigte Material heranzuschaffen, addierte sich zu für mich beängstigenden Summen. Um unser Haus bewohnbar zu machen, musste ich mich verschulden, aber da mir Michaels Krankheit keine andere Wahl ließ, verschwendete ich keine Gedanken daran, ob ich mir ein eigenes Haus überhaupt leisten konnte.
Heinrich lebte ein halbes Jahr allein auf derBaustelle, im Sommer war es einigermaßen erträglich, wenn er auch zeitweise nicht einmal fließendes Wasser hatte. In Berlin ließ er sich kaum noch blicken, seine anderen Arbeiten hatte er eingestellt, so dass er gar nichts mehr verdiente und wir auf meine Einnahmen angewiesen waren. Ich machte überall Schulden, ich wollte das Haus so schnell wie möglich bezugsfertig haben. An den Wochenenden fuhr ich mit Michael nach Kietz, der Kleine freute sich, mit Heinrich zusammen zu sein, an dem Haus mitzuarbeiten, und er genoss den Trubel. In der provisorischen Küche kochte ich für alle die Mahlzeiten und betätigte mich ansonsten als Handlanger bei allen möglichen
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