Frau Paula Trousseau
auf, eine eigene Firma, ein, zwei Mitarbeiter, keinesfalls mehr.«
»Was für eine Werkstatt? Für Restauration?«
»Für alles. Jedenfalls für alles, was man mit den eigenen Händen machen kann. Der Kunde hat ein Problem, und ich löse es.«
»Wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, schon einmal davon gehört? Du kannst nicht Spezialist für tausend Sachen sein.«
»Aber man kann es probieren. Ich bin halt für alles und nichts begabt, und daraus versuche ich, das Beste zu machen.«
Er wollte bei mir übernachten, aber ich schüttelte den Kopf. Er versuchte nicht, mich zu überreden, sondern akzeptierte meine Entscheidung, was mir gefiel. Er hatte etwas von einem Jungen, sein runder Schädel wirkte fast kindlich, er blickte so arglos und treuherzig, dass man glaubte, ihm vertrauen zu können. Er war ein wenig rundlich, als sei er noch immer nicht seinen Babyspeck losgeworden. Wie in Eisenach trug er auch an diesem Abend einen Pullover, einen dieser dicken, selbstgestrickten Sweater, in denen die Leute an der Küste gern umherlaufen, der seine pausbackige Korpulenz betonte und ihn noch kindlicher erscheinen ließ.
»Wir sehen uns?«, fragte er schüchtern, als er in der Tür stand.
»Gern«, sagte ich, »melde dich, wenn du in Berlin bist. Michael wäre sonst sehr enttäuscht.«
»Dein Kleiner gefällt mir. Und ich glaube, er hat mich gern. Zumindest er.«
»Ja«, sagte ich und küsste ihn zum Abschied.
Ein paar Monate später waren wir zusammen. Es hatte sich so ergeben, irgendwie. Er war nicht meine große Liebe, ich bekam kein Herzklopfen, wenn er erschien, und ich vermisste ihn nicht, wenn er ein paar Tage unterwegs war. Wenn er nicht in Berlin war, fehlte er mir nicht, aber seine Anwesenheit störte mich in keiner Weise, und das war für mich eine neue und durchaus angenehme Erfahrung. Er und Michael verstanden sich vollkommen. Der Kleine hatte wohl einen Vater heftiger vermisst, als ich es mir vorgestellt hatte. Er war geradezu verliebt in ihn, und falls Heinrich irgendetwas bei mir fehlen sollte, Michael entschädigte ihn reichlich. Wenn er kam, wich der Kleine nicht von seiner Seite, die beiden tobten durch die Wohnung, als seien sie beide Kinder, und manchmal machte Michael ihm plötzlich ganz unerwartete und leidenschaftliche Liebeserklärungen. Dann waren sie für einen Moment beglückt und verlegen und schauten mich an, als hätten sie sich etwas Unverschämtes herausgenommen.
Ich war nicht eifersüchtig, ich war erleichtert, dass Michael in Heinrich einen Kameraden gefunden hatte, der ihm den fehlenden Papa ersetzte. Ich lebte mit Heinrich zusammen, weil Michael ihn liebte. Heinrich ließ mir jeden Freiraum, er akzeptierte meine Arbeit und meine Arbeitsweise, er versuchte nie, mich zu erziehen. Es war erträglich, ein mäßiges, aber mich nicht verletzendes Verhältnis. Es war so leidenschaftslos, dass ich selbst den Kopf über mich schüttelte, es hatte etwas von einer uralten Ehe, als seien er und ich Jahrzehnte verheiratet undinzwischen bedürfnislos geworden. Meinen Bekannten fiel nur auf, dass er einige Jahre jünger als ich war, als habe das irgendetwas zu bedeuten.
Finanziell war die Verbindung mit ihm nicht eben ein Glücksfall. Er lebte von der Hand in den Mund, hatte immer irgendwelche Projekte am Laufen, die sich häufig in Luft auflösten, und jonglierte stets mit Schulden, da er so einfältig war, immer wieder auf jedes Versprechen und jede Zusage hereinzufallen. Es störte mich nicht, da ich für mich allein sorgen konnte, und ich konnte über ihn und seine Leichtgläubigkeit umso herzlicher lachen, da er selbst nie verzweifelte, sondern jede Katastrophe erstaunlich gelassen wegsteckte. Mir gefiel, wie er mit dem Leben umging. Er hatte keine Erwartungen, die enttäuscht werden, keine Forderungen, die ihn, wenn sie sich nicht erfüllten, deprimieren konnten. Er nahm jeden Tag neugierig und erwartungsfroh an, setzte und hoffte auf sein Glück und war nicht einmal überrascht, wenn es ausblieb. Er war ein glücklicher Träumer, naiv und für mich vielleicht ein klein wenig zu unbedarft.
Für Michael aber war er ein Glücksfall. Mein Kleiner lebte in dieser Beziehung regelrecht auf, wartete ungeduldig, dass Heinrich am Abend in unserer Wohnung erschien, und klammerte sich geradezu an ihn. Wenn Heinrich da war, konnte ich völlig ungestört an meinen Blättern sitzen. Michael sorgte dafür, dass weder er noch Heinrich mich behelligten. An den Wochenenden spazierten wir
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