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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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meine Blätter wurden gelobt. In der Buchbranche hatte ich seitdem einen Namen und bekam jedes Jahr von irgendeinem Verlag einen kleineren Auftrag. Es waren meistens Zeichnungen oder Grafiken, einmal waren es zehn Radierungen. Aquarelle oder Farbtafeln waren sehr selten, der Druck war zu teuer. Ich konnte es mir nun aber leisten, lästige Brotarbeiten abzulehnen, doch finanziell blieb es schwierig, und ich richtete mich darauf ein, nie zu den begehrten und hoch gehandelten Malern zu gehören, zu jenen, denen man die Arbeiten aus den Händen riss und für deren Blätter man fast jeden Preis bezahlte.
8.
    Zum fünften Geburtstag von Michael fuhr ich mit ihm in den Thüringer Wald, nach Eisenach. Über das Wochenende hatte ich für drei Tage ein Zimmer in einer Pension bestellt, weil Michaels Geburtstagswunsch ein Besuch der Wartburg war. Ich wusste nicht recht, wieso der kleine Kerl auf einen so merkwürdigen Gedanken verfallen war. Die Kindergärtnerin, die aus dieser Kleinstadt stammte, hatte von der Wartburg erzählt, und diese Burg war bei Michael und seinem besten Freund zu einer fixen Idee geworden. Er redete wochenlang darüber, seine Spiele drehten sich nur um diese Burg, und er war nicht davon abzubringen, sie zu besuchen. Ich glaube, er war von dem Besuch enttäuscht, er hatte sich gewiss etwas Abenteuerlicheres als ein Museum erträumt, aber er spielte mit Eifer den Burgbesitzer.
    In Eisenach lernte ich Heinrich Gebauer in einem Restaurant kennen, in das ich mit Michael zum Abendessen gegangen war. Er hatte darum gebeten, an unserem Tisch Platz nehmen zu dürfen, und war mit Michael ins Gespräch gekommen, nachdem er erzählt hatte, dass er als Bauleiter die Restaurierungsarbeiten der Wirtschaftsgebäude im Hof der Wartburg zu organisieren und zu koordinieren habe. Heinrich war mit der Geschichte der Burg vertraut und konnte zu Michaels Begeisterung viel darüber erzählen. Die beiden unterhielten sich mehr als eine Stunde über ihre Burg, und wenn mich nicht ein gelegentlicher Blick von Heinrich gestreift hätte, so hätte ich glauben können, sie hätten mich völlig vergessen.
    Da wir am nächsten Tag nachmittags heimfahren wollten, trafen wir uns früh auf der Wartburg mit ihm. Heinrich hatte es vorgeschlagen, und Michael hatte mich gebeten zuzustimmen. Er lief überglücklich durch die Burg,war ganz stolz, dass ihm die für das Publikum verschlossenen Räume gezeigt wurden, und schien von Heinrichs Bauarbeiten in den Bann gezogen zu sein. Für meine Arbeiten hatte er sich nie so heftig interessiert. Ich wurde etwas neidisch und begriff, dem Kleinen fehlte etwas, was ich ihm beim besten Willen nicht zu geben imstande war. Als wir uns verabschiedeten, versprach Heinrich, Michael in Berlin zu besuchen.
    »Vorausgesetzt, deine Mutter ist damit einverstanden.«
    »Natürlich. Natürlich ist sie einverstanden. Und wann kommst du?«
    »Ich habe hier noch zwei Monate zu tun, dann bin ich wieder in Berlin, dann könnten wir uns sehen.«
    Michael strahlte. Heinrich bot an, uns zur Bahn zu fahren, und er brachte uns bis zum Bahnsteig. Michael gab seine Hand erst frei, als unser Zug einfuhr, und ich wusste, dass ich nun ein Problem mehr hatte, und hoffte, es sei ein lösbares.
    Heinrich erschien bereits nach zehn Tagen bei uns. Er hatte das Wochenende für einen Besuch bei uns genutzt. Michael war selig, er erschien im Nachthemd unter irgendwelchen Vorwänden noch dreimal im Wohnzimmer, um Heinrich zu sehen. Wir tranken eine Flasche Wein, und er erzählte mir von seiner chaotischen Familie, seinem abgebrochenen Architekturstudium und den vielen Gelegenheitsjobs, mit denen er sein Leben finanzierte. Mit seinem Vater, einem hohen Funktionär und Mitglied der Plankommission, hatte er sich überworfen, die Mutter war Alkoholikerin und lebte in einer Traumwelt. Seine drei Geschwister sah er selten, die Eltern hatten die Familie gründlich zerstört, es gab sie nicht mehr, jeder lebte und kämpfte für sich. Er hatte sich, wie er sagte, einen Namen als Restaurator gemacht, alte Türen, Truhen undSchränke, die mittlerweile begehrt waren, arbeitete er in seiner Werkstatt auf, und gelegentlich bekam er die Bauleitung von Objekten übertragen, bei denen der Auftragnehmer in Schwierigkeiten geriet und ihn um Hilfe bitten musste.
    »Ein bisschen viel Durcheinander?«, fragte ich.
    »Nein, ein wenig Abwechslung«, meinte er, »ich möchte nicht ein Leben lang jeden Tag das Gleiche machen. Irgendwann baue ich mir eine Werkstatt

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