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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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seine Freundin verlassen hatte, einen verheirateten Ingenieur, der mich im Park angesprochen hatte, aber auch diese Beziehungen waren nicht für die Ewigkeit. Ich denke nicht, dass es an mir lag, denn ich hatte Sehnsucht nach Liebe, nach der Beziehung zu einem anderen, nach einem Partner. Michael war mein Ein und Alles, er war Mittelpunkt meines Lebens geworden, aber er war ein kleines Kind und brauchte selbst viel Liebe von mir.
    Die Männerbeziehungen liefen immer gleich ab. In der Anfangsphase bemühten sich die Herren, nach ein paar Wochen gab es die ersten Anzeichen einer Gewöhnung,winzige Nachlässigkeiten und erste Gereiztheiten, der Ton veränderte sich, die freundlichste Bitte besaß einen Unterton von Forderung, plötzlich gab es Erwartungen, und man zeigte sich überrascht, wenn ich nicht so funktionierte, wie ich es ihrer Ansicht nach sollte. Und wenn es wieder so weit war, dann hoffte ich nicht darauf, dass es sich bessern würde. Ich zögerte nicht einen Tag, ich verabschiedete ihn auf der Stelle. Ich nahm meine ganze Energie zusammen und sagte ihm sehr deutlich, er solle gehen und nie wiederkommen. Da konnte er sich entschuldigen oder bitten und betteln, er konnte erschüttert sein oder drohen, mir oder sich etwas anzutun, ich blieb ganz ruhig und wartete schweigend, bis er begriffen hatte, dass es mir todernst war, bis er aus meiner Wohnung und aus meinem Leben verschwand.
    An einem Dienstagabend begegnete ich Sebastian wieder. Ich kam aus der S-Bahn, auf dem einen Arm Michael, in der anderen Hand einen gefüllten Einkaufsbeutel. Er saß in einem Auto und wartete offenbar auf jemanden. Wir erkannten uns sofort wieder und sahen uns einen Moment schweigend und ein wenig verschreckt an. Dann lächelte er und machte Anstalten, aus dem Auto zu steigen. Ich drehte mich um und ging weiter. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte ihm keinen guten Tag wünschen. Ich konnte es nicht, ich konnte es noch immer nicht. In der Nacht wurde ich wach, mir war, als hätte ich seine Stimme gehört, und in den Tagen danach schrak ich zweimal zusammen, weil ich glaubte, ihm wieder unvermutet zu begegnen.
    Kathi war eine verlässliche Freundin. Es war einfacher mit einer Frau, leichter, unangestrengter. Es gab weniger Missverständnisse, keine Eifersüchteleien, keine Anmaßungen. Es machte mir nichts aus, Männern zu erzählen, dass ich gern mit einer Frau zusammen war. Ich hätte esselbst meiner Mutter erzählt, sogar Vater, aber wir sprachen schon längst nicht mehr miteinander, es gab nichts, was ich ihnen von mir erzählen wollte, es gab nichts, was sie interessierte.
    Sibylles Tod wurde, je länger er zurücklag, umso schmerzlicher für mich. Wir waren erst spät zusammengekommen, und sie war für mich der Inbegriff einer Frau, ein Bild von Weiblichkeit, von Schönheit und Charme. Sibylle hatte ich geliebt, auch wenn es mir damals nicht klar gewesen war.
    Ein Jahr nach ihrem Tod begann ich, sie zu zeichnen. Diese Blätter gehörten zu den ersten Arbeiten nach Michaels Geburt. Ich machte Skizzen nach der Erinnerung und den wenigen Fotografien, die ich von ihr besaß. Nach ersten Bleistiftskizzen nahm ich Kohle, mit fünf großen Akten war ich zufrieden, sie zeigten den Rücken oder das Profil, der Kopf war stets abgewandt. Die Blätter, auf denen ich ihr Gesicht, ihre Augen wiedergeben wollte, misslangen mir. Vielleicht scheute ich ihren Blick, denn sie war anwesend, während ich sie zeichnete, die Augen, die ich zu malen versuchte, schauten mich an und machten mich verlegen. Eins der Kohleblätter, ein Rückenakt, bei dem der Halsansatz mit ihren dunklen Haaren zu sehen war, nahm ich als Vorlage für ein Ölbild. An dem Bild arbeitete ich vier Monate lang, unterbrochen von den Brotarbeiten, den üblichen Skizzen und ein paar kleineren Blättern. Nachdem ich bereits einige Wochen an dem Sibyllebild gesessen hatte, bemerkte ich, dass es meinem weißen Bild, meiner großen Arbeit an der Schule, verwandt war. Es war wiederum ein sehr monochromes Bild, sehr hell, ein zarter rötlicher Ton, hautfarben bis chamois, und nur Sibylles schwarze Haare unterbrachen die fast gleichfarbige Schicht des Bildes. Ich saß gern an diesem Bild. In diesen vier Monaten war sie mir wieder ganz nah, und ichunterhielt mich mit ihr. Ich redete laut mir ihr, ich vermisste Sibylle.
    Wegen Michael musste ich meinen Tag genauestens einteilen, um wenigstens sechs Stunden ungestört arbeiten zu können. Nachts arbeitete ich gar nicht mehr, da

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