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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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gesagt, was meine Malerei wert ist.«
    Vater war verwirrt, weil ich ihm in die Augen schaute, ohne den Blick abzuwenden. Das ist für ihn neu, sagte ich mir, er ist es gewöhnt, dass seine Kinder Angst vor ihm haben, und das gefällt ihm. Aber jetzt ist er ein alter Mann, und ich bin eine erwachsene Frau, ich muss nie wieder den Blick vor ihm senken. Unwillkürlich musste ich lachen, was ihn noch mehr irritierte.
    »Was ist los mit dir?«
    »Nichts. Man hat es mir in Berlin gesagt. Man hat gesagt, ich sei sehr begabt.«
    »Was soll das heißen? Willst du etwa dort studieren?«
    »Ab September, ja.«
    »Und was sagt Hans dazu?«, erkundigte sich Mutter.
    »Er weiß es noch nicht. Wollt ihr mir nicht gratulieren?«
    Mutter sah zu Vater, dann strahlte sie ihre Tochter an: »Ja, Kleine, ich gratuliere dir. Ich gratuliere dir von Herzen. Ich bin stolz auf dich, sehr stolz. Und du wirst schon alles richtig machen, mit dem Studium und auch mit Hans und der Hochzeit.«
    Danach schaute sie wieder Vater an, der mich fassungslos betrachtete.
    »Das glaube ich einfach nicht«, sagte er endlich heiser, »ich glaube dir nicht, Paula. Du lügst. Zeig mir das Aufnahmepapier.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Zeig es mir.«
    »Was soll ich dir zeigen? Man bekommt keine Bestätigung, wenn man eine Prüfung bestanden hat. In ein paar Wochen werden sie mir die Zulassung schicken, wenn du willst, kannst du sie dir dann ansehen.«
    »Du wirst doch irgendeine Bescheinigung bekommen haben.«
    »Nein.«
    »Ich glaube dir nicht, Paula.«
    »Dann lass es. Ich muss jetzt los, ich will zu Hans.«
    Ich stand auf, ging zu Mutter und umarmte sie. Vater reichte ich nur die Hand. Ich zwang mich, ihm dabei in die Augen zu blicken. Mutter fragte, ob ich denn wirklich gleich gehen müsse, wir würden uns jetzt so selten sehen, und ich sagte, wir werden uns bei der Hochzeit sehen.
    Als ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte, war ich stolz auf mich. Ich hatte durchgehalten, ich hatte nicht nachgegeben, ich war nicht zurückgewichen, ich hatte mich gegen Vater durchgesetzt, und ich hatte nicht geweint, nicht für einen Moment waren mir diese dummen Tränen in die Augen geschossen. Nie wieder würde ich wegen ihm weinen, nie wieder würde er michdemütigen und kleinkriegen. Ich war zur Kunsthochschule gefahren, obwohl alle dagegen waren, ich hatte die Prüfung bestanden, ich hatte mich von keiner Drohung einschüchtern lassen, und selbst die Ankündigung, dass die Heirat ins Wasser fallen werde, hatte mich nicht davon abhalten können, das zu tun, was ich wollte. Ich sollte mir die Zulassung zum Studium einrahmen lassen und über meinen Arbeitstisch hängen, wie es die Handwerker mit ihrem Meisterbrief machen, als Zeichen meiner Mündigkeit.
    Ich blieb am Luisenstein stehen. Er war viel kleiner, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er war nicht mal einen Meter hoch und zur Erinnerung an den Besuch irgendeiner königlichen Luise errichtet worden. Früher hatte ich hier nach der Schule auf Cornelia gewartet, meine Schwester. Ich saß dann auf der Bank, von der jetzt nur noch die Betonreste zu sehen waren, oder versteckte mich hinter dem Stein und wartete ein oder zwei Stunden, bis sie endlich Schulschluss hatte und auftauchte, damit wir gemeinsam heimgehen konnten. Meine halbe Kindheit hatte ich an diesem Stein verbracht, aber damit sollte endgültig Schluss sein. Du musst erwachsen werden, Paula, sagte ich laut zu mir.
9.
    Ich war um sechs Uhr in der Wohnung. Ich wusste, Hans würde kaum vor acht daheim sein, und so fing ich an, ein großes Essen für uns zu kochen. Auf dem Weg vom Bahnhof hatte ich Gemüse eingekauft und für Hans ein Schnitzel. Ich kochte eine österreichische Kohl-Minestra-Suppe und machte einen großen Gemüseauflauf für die Backröhre fertig. Das Fleisch briet ich an und wickelte esdann mit Selleriescheiben, Porree, geschnitzeltem Knoblauch und Gewürzen in Backfolie ein, es sollte mit dem Auflauf in der Röhre fertig brutzeln.
    Hans kam fünf vor acht. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ob ich gar nicht anwesend sei, ging zum Fernseher und schaltete ihn ein, um sich die Nachrichten anzusehen. Ich lief hinterher und sagte, dass ich ein Abendbrot für uns vorbereitet und für ihn ein Schnitzel besorgt hätte. Ohne den Blick von der Mattscheibe zu wenden, erwiderte er, er habe bereits mit den Kollegen gegessen. Er sagte es nebenbei, um keine Mitteilung des Nachrichtensprechers zu versäumen und mir überdeutlich zu signalisieren, dass er

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