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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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einverstanden, dass ich bis zum letzten Moment in die Hochschule ging, er fürchtete, ich gefährde das Baby, worüber ich nur lachen konnte. Ich konnte gar nichts falsch machen, denn ich vertraute meinem Körper und folgte ihm, ich ruhte völlig in mir und war so gelöst, wie ich es nie erlebt hatte. Und ich kam mir schön vor. Ich konnte stundenlang vordem Spiegel stehen und es gab nichts, was mir an mir nicht gefiel. Ich war vollkommen. Ich war eine wunderschöne Frau und konnte jeden Zentimeter an mir bewundern, und das tat ich auch. Frühmorgens, bevor ich zur Schule fuhr, und abends, nachdem ich mich ausgezogen hatte, stellte ich mich vor den Spiegel der Schranktür. Ich faltete die Hände unter dem Bauch, legte die Unterarme darauf, streckte die Arme in die Höhe oder verschränkte die Hände hinter dem Rücken, um den Bauch noch weiter vorzuschieben. Hans hatte mich geschwängert, um mich vom Studium abzuhalten und um mich zu bestrafen, und alles, was er erreicht hatte, war, dass ich wie nie in meinem Leben mit mir zurechtkam.
    Hans kam fünfmal in diesem letzten Monat nach Berlin gefahren, mitten in der Woche, um mich abzuholen. Ich bat Hans, mich nicht aufzuregen, das würde seinem Baby schaden, aber er brachte es jedes Mal fertig, dass ich nach seiner Abfahrt heulend in meinem Zimmer saß.
    Um vier Uhr früh wurde ich von einer Wehe geweckt, ich nahm jedenfalls an, dass es eine Wehe war, da ich den Schmerz, der durch den Körper lief, nicht kannte. Ich war sehr ruhig, blieb im Bett liegen, redete mit dem Kind und wartete, ob sich alles beruhigen würde oder ob das Kleine doch vorfristig seine Nase in die Welt stecken wollte. Ich riet ihm ab. Ich sagte dem Kind, es solle so lange, wie es nur geht, in mir drinbleiben, denn ich sei gern mit ihm schwanger, und solange es in mir bleibe, könne ihm nichts passieren. Aber das Kleine hatte seinen eigenen Kopf, und nach einer Viertelstunde kam die nächste Wehe. Ich versuchte sie wegzuatmen, so wie ich es in der Schwangerenberatung gelernt hatte. Ich verhielt mich genau so, wie man es mir geraten hatte, doch es half nicht viel, der Schmerz war sehr stark, und ich war froh, dass ich im Bett lag, im Stehen hätte ich es kaum ausgehalten.Ich glaube, man hat deine Mutter angeschmiert, sagte ich zu dem Baby, diese Schmerzen kann man gar nicht wegatmen, und wenn man mich über den Rest auch so angelogen hat, dann haben wir beide heute einen schweren Tag vor uns.
    Als ich aus dem Haus gegangen war, kamen die Wehen in einem Abstand von zehn Minuten. Ich rechnete aus, dass ich ganz bequem zum Krankenhaus laufen könnte, keine Sorge, ganz ruhig, Mädchen, ganz ruhig, redete ich auf mich ein. Ich hatte eine kleine Reisetasche bei mir, die ich vor zwei Wochen ganz nach den Anweisungen der Hebamme gepackt hatte, und schleppte sie mal auf der rechten, mal auf der linken Seite. Wenn eine Wehe kam, stellte ich die Tasche ab und stützte mich auf sie. Ich war noch keine zweihundert Meter gegangen, als ein Auto neben mir hielt, eine Frau ausstieg, mich am Arm nahm und sagte, ich solle in den Wagen steigen, sie würde mich ins Krankenhaus fahren. Ich gehorchte, weil sie mir die Tasche abnahm, die immer schwerer geworden war. Als ich neben ihr saß, fragte ich sie, wie sie mich gesehen habe, es sei doch noch stockfinster, aber bevor sie mir antwortete, überkam mich eine Wehe, wie ich sie noch nicht erlebt hatte. Ich dachte, die Geburt beginne, klammerte mich irgendwo fest und stöhnte nur noch. Irgendwann fragte mich die Frau, ob sie zu schnell fahre, und ich sagte, ich glaube, man habe mich reingelegt. Die Frau lachte und meinte, ihr sei es beim ersten Kind genauso gegangen, aber in ein paar Stunden hätte ich ein Kind auf meiner Brust und alles vergessen, was zuvor passiert sei. Vor dem Krankenhaus hielt sie und trug mir meine Tasche noch bis zur Aufnahme.
    »Alles Gute«, sagte sie und streichelte mir übers Haar.
    Ich wünschte, sie käme mit mir in den Kreißsaal und würde bei mir bleiben, bis ich alles überstanden hätte,doch das sagte ich natürlich nicht. Ich bedankte mich nur.
    Fünf Stunden später war Cordula auf der Welt. Man hatte einen kleinen Schnitt am Damm machen müssen, einen winzigen Schnitt, wie man mir versicherte, um zu verhindern, dass etwas reißt. Ich hatte nichts davon gespürt. Dann legte mir eine Schwester das kleine nackte Mädchen auf die Brust, nachdem sie es mit einem Tuch abgetrocknet hatte. Sie gab mir den Winzling mit einem Lächeln, als

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