Frau Paula Trousseau
Vater ihm heftige Vorwürfe machte. Clemens brüllte gleichfalls, dann gingen die Männer in ihre Zimmer, und die Mädchen hörten, wie beide noch eine Zeit lang vor sich hin schimpften. Die beiden Schwestern lauschten ihnen, ohnesich zu rühren, und lagen noch wach, als es längst wieder still im Haus war.
Drei Tage später sagte ihr Vater, dass die Mutter am nächsten Morgen aus dem Krankenhaus entlassen werde und künftig von der Familie bewacht werden müsse.
»Nach Schulschluss geht ihr sofort nach Hause. Sofort, verstanden? Und dann schaut ihr nach Mutter, ihr wisst ja Bescheid. Und ihr bleibt daheim, bis ich aus der Schule zurück bin.«
»Und was sollen wir tun?«, erkundigte sich Cornelia mürrisch.
»Wenn etwas ist, kommt ihr sofort zu mir. Und macht euch keine Sorgen. Mit Tabletten bringt man sich nicht um. Ich habe mich erkundigt. Leute, die Tabletten schlucken, die wollen sich eigentlich gar nicht umbringen. Wer sich wirklich umbringen will, der nimmt ein Messer oder einen Strick. Aber diejenigen, die Tabletten schlucken, die wollen nur auf sich aufmerksam machen. Mutter will gar nicht sterben, sie will mich bestrafen. Es ist peinlich und unangenehm für mich. Damit macht sie mich in der ganzen Stadt lächerlich.«
»Und was ist mit meinem Klavierunterricht?«, fragte Paula.
»Ich sage Frau Stuckardt Bescheid. Den Klavierunterricht werden wir vorläufig streichen. Ob Klavier für dich das Richtige ist, das weiß ich nicht, und die Frau Stuckardt ist außerdem auch viel zu teuer. Mit deinem Geigenunterricht hat es ja auch nicht geklappt. Und außerdem hast du die Flötengruppe in der Schule und deinen Zeichenzirkel, die machst du weiter.«
»Aber du hattest mir versprochen …«
»Jajaja, aber du siehst, was los ist. Du musst auf deine verrückte Mutter aufpassen. Wir wollen uns doch nicht in der ganzen Stadt blamieren, Mädchen, das kann ichmir als Direktor nicht leisten. Nun fang bloß nicht an zu flennen.«
Als Paula und Cornelia in ihr Zimmer zurückgekehrt waren, sagte Cornelia, sie habe nicht vor, sich zu Hause einsperren zu lassen.
»Wir wechseln uns ab«, sagte sie, »eine von uns passt auf Mutter auf, eine hat frei, so machen wir das. Einverstanden?«
»Und wenn ich Klavierunterricht habe, könntest du dann zu Hause bleiben?«
»Könnte ich, aber du hast doch gehört, dein Klavierunterricht ist Vater zu teuer. Und von deinem Taschengeld kannst du es nicht bezahlen. Er hätte dir sowieso nie ein Klavier gekauft.«
»Aber wenn ich nicht mehr Klavier spielen darf …«
»Du hast doch noch die Flötengruppe. Machst du eben da deine Musik.«
»Bei Herrn Frieder macht es aber keinen Spaß. Ich bin dort nur, weil Vater es verlangt.«
»Es hat doch keinen Zweck, Paula. Ein Klavier bekommst du nie im Leben. Willst du immer auf diesem dummen Tuch herumspielen, wie eine alte Jungfer? Außerdem hast du noch deinen Malzirkel. Ist doch sowieso alles langweilig.«
»Nicht für mich.«
Als Paula am nächsten Tag aus der Schule kam, saß die Mutter in der Küche. Sie schaute nicht auf, als die Tochter eintrat, und zu allem, was Paula sagte, nickte sie nur teilnahmslos. Als ihr die Tochter erzählte, dass sie nicht mehr zu den Klavierstunden gehen dürfe, hob sie den Kopf, sah sie an und fragte: »Was kannst du denn auf dem Klavier spielen?«
»Ich darf nicht mehr. Nie wieder. Vati hat es mir verboten.«
»Jaja«, sagte die Mutter.
Sie schien nicht zugehört zu haben.
»Kannst du auch dieses Lied spielen?«, fragte sie dann.
Den Blick ins Leere gerichtet, begann sie zu singen: »Liebster Herr Jesu, wo bleibst du so lange? Komm doch, mir wird hier auf Erden so bange.«
Es war das erste Mal, dass sie ihre Mutter ein Kirchenlied singen hörte, und Paula lauschte ängstlich der brüchigen Stimme.
3.
Am achtzehnten Februar kam Cordula zur Welt. Sie war eine Woche zu früh, ich hatte mit der Geburt nicht gerechnet und war deshalb noch am Vortag drei Stunden in der Schule gewesen, im Seminar bei Pfortmann. Seine Stunden wollte ich möglichst nicht versäumen, da mir Anatomie nicht besonders lag und ich die Hoffnung hatte, durch Fleiß mein Unvermögen wettmachen zu können.
Hans war böse, weil ich in den letzten Wochen vor dem angegebenen Geburtstermin nicht bei ihm in Leipzig geblieben war. Natürlich machte er sich keine Sorgen um mich, sondern um sein Kind. Um seinen Sohn, wie er noch immer annahm, jedenfalls sprach er so von dem Baby und nannte es seinen Prinzen. Er war nicht damit
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