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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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brachte mich in unser Haus. Ich blieb mit Cordula acht Wochen in Leipzig. Die Kleine hatte in den ersten Tagen viel Gewicht verloren und nahm nur sehr langsam zu. Da ich anfangs zu wenig Milch hatte, musste ich mit der Flasche zufüttern. Die Kleine spuckte und erbrach sich viel, Hans war sehr besorgt und ließ sich weder von mir noch von der Ärztin oder Schwester beruhigen. Als sich das Kind endlich stabilisiert hatte, blieb ich noch fünfzehn Tage bei Hans, um die Kleine zu versorgen und mich zu erholen. Wenn ich sie aus ihrem Bettchen holte, um ihr die Brust zu geben, sie zu baden und zu windeln oder sie nur zu beruhigen, redete ich mit ihr. Da Hans eine Haushaltshilfe eingestellt hatte, gab es für mich wenig zu tun und ich konnte, ganz wie Hans es wünschte, mich den Tag über vollständig dem Baby widmen.
    Trotz meiner Schwierigkeiten mit Cordula schaute ich mir die Kleine gern an. Ihre Finger, streichholzdünn, in denen sich wunderfeine Gelenke befanden, die stets angezogenen Arme und Beine, die für das Baby viel zu großen Füße, die feine kleine Nase, ihre Ohren, der Mund mit den schmalen Lippen, der wie ein blassroter Knopf das Gesicht krönte. Das Unglaublichste für mich aber war ihr Geruch. Sie roch wundervoll. Wie Lavendelpastillenund ein Gesteck von Flachsblüten in einem taufrischen Moosbett, ganz leicht und zart und intensiv. Ich bekam nie genug von ihrem Geruch, steckte die Nase in ihr Bett und den Kinderwagen, und während ich mich mit ihr beschäftigte, beugte ich mich zu ihr und schnupperte an ihr. Ich nahm sie nie auf meinen Arm, ohne diesen Geruch tief einzuatmen. Wenn sie an meiner Brust lag, hielt ich ihren Kopf so, dass ich mein Gesicht hätte darauflegen können, nur um diesen Geruch zu spüren. Und ich zeichnete sie. Ein Skizzenblock lag immer in der Nähe, und ich nahm ihn auch auf die Spaziergänge mit, um ihr Gesicht und ihre Hände mit dem Bleistift zu zeichnen. Ich brachte es sogar fertig, mich hinzusetzen und die schreiende Cordula aufs Blatt zu bringen, bevor ich sie aufnahm und beruhigte. Ich bewunderte dieses Kunstwerk der Natur, dieses unglaubliche Gebilde eines Menschen, in dem alles angelegt und vorhanden ist, was einmal die spätere, erwachsene Frau auszeichnen würde.
    Ihre Hände und Finger musste ich damals tausendfach gezeichnet haben, ich konnte sie stundenlang betrachten und musste mich zwingen, die entkleidete nackte Cordula wieder anzuziehen, damit sie nicht friert, denn ich konnte mich an dem Anblick des kleinen hilflosen Körpers nicht sattsehen, so schön war sie und zierlich und fein. Ich liebte es, ihre Glieder zu bewegen und durch die Luft zu führen, über ihren Kopf zu streicheln, die kleinen Haare zu spüren, sie an mich zu drücken, aber das Gefühl, die Mutter dieses Kindes zu sein, hatte ich nicht. Ich war glücklich, dieses Kind, meine Gartenringelblume, wie ich sie nannte, bei mir zu haben und für es zu sorgen, aber dass ich es geboren hatte, dass es zuvor in meinem Bauch war und ich es herausgepresst hatte, dass es mein Kind war, dass ich Cordulas Mutter war, das war für mich ein unvertrauter, fremder Gedanke.
    Mit Hans schlief ich in den acht Wochen in Leipzig ein einziges Mal. Ich sagte ihm, dass mich das Baby anstrenge und ich müde sei, und verwies zudem auf den Dammschnitt, ich schützte Schmerzen vor. Er drehte sich aufstöhnend zur Seite, aber er konnte mir keinen Vorwurf machen. Ich war erleichtert und dankte Cordula, dass sie mir ihren Vater auf Distanz hielt. Irgendwann, als es mir besser ging, oder vielmehr, als er entschied, dass ich wieder auf den Beinen sei, richtete er ein Fest aus für seine Freunde und Geschäftspartner. Wie versprochen hatte ich keine Arbeit damit, wir hatten die Haushilfe, und seine beiden Sekretärinnen kamen am frühen Nachmittag mit dem bestellten Menü und richteten die Wohnung für den Empfang her. Ich hatte ein Kleid anzuziehen, das er zu diesem Anlass für mich gekauft hatte, und musste Cordula zweimal vorführen. Als es Zeit zum Stillen war, bat er mich, ihr im Wohnzimmer vor den Gästen die Brust zu geben, was ich mit einem Hinweis auf die Aufregungen für das Kind ablehnte. Alle bedauerten es und versuchten, mich zu überreden. Ich betrachtete ihre Gesichter, es waren seine Freunde, nicht meine. Hans hatte mich überhaupt nicht gefragt, ob ich jemanden zu seinem Fest einladen wolle, meine Schwester Cornelia beispielsweise oder Kathi oder eine der Schwesternschülerinnen, mit denen ich in der Lehre

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