Frau Paula Trousseau
wie ich und mein schwangerer Bauch. Er war mit seinen Gedanken woanders. Er musste meine Enttäuschung bemerkt haben, denn unvermittelt bat er mich, in sein Zimmer zu kommen, wenn ich die Zeit dazu hätte. Ich erwiderte rasch, dass ich nur meine Kleine einer Kommilitonin übergeben und ihn aufsuchen würde.
»Bringen Sie Ihr schönes Kind mit, Paula«, sagte er, »es gehört doch zu Ihnen.«
Als ich sein Zimmer betrat, standen die beiden Fenster sperrangelweit offen. Er erhob sich, schloss die Fensterflügel und sagte, er habe gelüftet, um den Zigarrenrauch aus dem Zimmer zu vertreiben. Dann erkundigte er sich, wie die Geburt verlaufen sei, wie ich das Studium mit dem Kind bewältige, ob mir die Kommilitonen beistünden, und fragte, was denn mein Mann dazu sage, dass ich mit dem Kind nicht bei ihm lebe.
»Er ist nicht erfreut«, sagte ich leise, »aber das ist mir egal. Das Studium ist das Wichtigste.«
Er nickte, doch dann sah er mir besorgt in die Augen.
»Es ist wichtig für Sie, sehr wichtig, Paula. Aber es gibt ein paar Dinge im Leben, die sollten etwas mehr für Sie zählen. Sie haben ein Baby.«
»Das weiß ich. Und eine Frau hat zuallererst Mutter zu sein und alles andere hintanzustellen, wollen Sie mir das sagen?«
Er lachte auf und legte einen Arm um meine Schultern.
»Paula, die Kratzbürste! Beißen Sie mich nicht gleich. Ich möchte, dass Sie das Studium zu Ende bringen. Sie sollen bei mir das Handwerk lernen. Alles andere kann Ihnen eine Schule ohnehin nicht beibringen. Sie sind begabt, aber Sie sind zu ehrgeizig, das beunruhigt mich.«
Ich sah ihn herausfordernd an: »Zu ehrgeizig? Was soll das heißen? Ich zeichne und male gern, und ich bin froh, an der Schule zu sein. Natürlich bin ich ehrgeizig, ich will aus mir etwas machen, ich will was mit meinem Leben anfangen. Was ist daran nicht in Ordnung?«
»Ich mache mir Sorgen, Paula. Sie sind eine sehr eifrige und fleißige Studentin, das ist schön, aber ich habe den Eindruck, für Sie bedeutet das Studium mehr, als es sollte. Ich fürchte, Sie wollen eine Malerin werden, um dem Leben zu entkommen. Kunst ist kein Lebensersatz.«
»Das Malen ist mein Leben.«
»Das ist ein dummer Spruch. Ein Spruch fürs Poesiealbum. Die Kunst und das Leben, das sind zwei verschiedene Dinge, sie haben miteinander zu tun, aber das eine kann nicht das andere ersetzen. Und gerade das versuchen Sie, Paula. Ich hatte diesen Eindruck bereits bei der Aufnahmeprüfung und war sehr erleichtert, als ich hörte, dass Sie schwanger sind. Ich habe mich für Sie gefreut, weil ich mir dachte, dass ein Kind Ihnen den Kopf zurechtrückt. Dass Sie lernen, mit sich selbst zurechtzukommen.«
»Ich komme mit mir zurecht. Ich habe keine Schwierigkeiten, Herr Professor.«
»Nun beißen Sie mich nicht schon wieder. Ihre Kleine wird bei Ihnen gewiss nicht zu kurz kommen, Sie werden wunderbar für sie sorgen, davon bin ich überzeugt. Aber wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen dem Studium und dem Kind, würden Sie das Malen für Ihr Mädchen aufgeben können?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht. Warum soll ich etwas aufgeben? Sind Sie mit meinen Leistungen unzufrieden? Ich habe eine Babypause gemacht, aber das war mit Ihnen abgesprochen, und jetzt studiere ich wie jeder andere Student. Ich versäume wegen Cordula nichts, keine einzige Stunde.«
»Sie missverstehen mich, Frau Trousseau, und ich glaube, Sie wollen mich missverstehen. Ich muss deutlicher werden. Ich befürchte, Sie missbrauchen die Kunst, um mit Ihrem Leben zurechtzukommen.«
»Ich denke, dass es jedem richtigen Künstler so geht, Herr Professor. Die großen Künstler sind groß, weil sie mit ihrem Leben nicht zurechtkamen und in die Kunst flüchteten.«
»Ich dachte mir, dass Sie das sagen, Paula. Aber das ist Unsinn, das ist falsch, das ist romantischer Quatsch. Benutzen Sie die Kunst nicht dazu, um etwas zu erreichen, das Sie anders nicht erreichen können. Studieren Sie die Klassik und nicht die Romantik, wenn Sie bei mir etwas lernen wollen. Kommen Sie aus dieser Gefühligkeit heraus, denn so entsteht nur romantischer Quark. Studieren Sie den Michelangelo, hören Sie Bach. Besorgen Sie sich die Arbeiten von Picasso, auch wenn er von einigen meiner Kollegen nicht sehr geschätzt wird, der Mann ist nicht schlecht. Und geben Sie endlich diese Sentimentalitäten auf. Kunst hat nichts mit Verzückungen zu tun, mit Unverstandensein, das glauben nur Kleinbürger und Betschwestern. Kunst ist Kraft. Meinetwegen
Weitere Kostenlose Bücher