Frau Paula Trousseau
Gewalt. Aber ganz gewiss nicht Schwärmerei.«
Ich glaube, ich war während seiner Rede feuerrot geworden. Ich hätte ihn ohrfeigen oder ihm die Augen auskratzen können, so wütend machte er mich. Und ich war so zornig, weil ich mich in ihm offensichtlich getäuscht hatte. Ich hatte ihn vergöttert, ich hätte nicht eine Sekunde gezögert, wenn er ein Verhältnis mit mir hätte haben wollen. Für ihn hätte ich Hans verlassen. Ich hatte es mir nie eingestanden, doch ich war in ihn verliebt gewesen, ohne es gemerkt oder besser gesagt: ohne es begriffen zu haben. Dass er meinen dicken Bauch so bewunderte, gefiel mir, aber verliebt hatte ich mich in ihn viel früher. Ichhatte ihn geliebt, weil er mich und meine Arbeit schätzte, weil er mich an der Hochschule aufgenommen hatte, weil ich mit ihm endlich einen Menschen gefunden hatte, der meine Zeichnungen und Bilder ernst zu nehmen schien und anerkannte. Und nun erzählte er, ausgerechnet er, diesen hausbackenen Unsinn. Er würde sich mit meinem Vater gut verstehen, dachte ich, während ich die Tränen unterdrückte.
»Ich wusste nicht, dass Sie so frauenfeindlich sind«, sagte ich ganz knapp, »an der Schule erzählt man sich über Sie ganz andere Sachen. Warum haben Sie sich dafür eingesetzt, dass ich angenommen werde? Wieso dürfen sich Frauen an Ihrer Schule immatrikulieren, wenn Sie nichts von ihnen halten?«
»Ich halte sehr viel von den Frauen«, sagte er und lächelte, »sie sind das Schönste auf der Welt. Ich unterhalte mich mit ihnen lieber als mit Männern. Sie sind kräftiger, gewitzter, lebensklüger. Ich bin überhaupt nicht frauenfeindlich. Aber ich habe etwas gegen Gefühligkeit in der Kunst, gegen Kitsch.«
Ich war ganz ruhig. Ich fühlte mich geohrfeigt und gedemütigt, aber seine Worte konnten mich nicht verletzen. Innerlich verabschiedete ich mich von ihm, er tat mir leid. Ich hatte in ihm einen Mann bewundert, den es gar nicht gab. Er war nicht anders als mein Vater oder meine Lehrer, und er redete nicht anders als sie und Hans über mich und meine Arbeiten.
Ich war ganz ruhig und bemühte mich, ihn ironisch anzulächeln: »Warten wir es ab, Herr Professor. Warten wir ab, ob ich es nicht doch schaffe, obwohl ich nur eine Frau bin.«
»Sie haben mich vollkommen missverstanden, und ich denke, Sie wissen das, Paula. Ich wollte Sie nicht kränken, und wie sehr ich Ihre Arbeiten mag, das ist Ihnenbekannt. Ich bin ein paar Jahre älter als Sie und wollte Ihnen nur etwas von meinen Erfahrungen erzählen. Sie müssen nicht auf mich hören, Sie können das für den Unsinn eines alten Esels halten, aber ich wollte es Ihnen sagen, weil ich Sie schätze. Und Sie malen gute Bilder, handwerklich ganz vorzüglich.«
»Dann ist doch alles in Ordnung. Sie wollen hier doch gute Malerinnen ausbilden, oder?«
»Gute Maler ausbilden, sicher, das will ich, und dazu müssen die Studenten zuallererst einmal zu sich selbst kommen. Sie müssen sich selbst finden, ihren eigenen Weg, jenen Ton, den nur sie kennen und beherrschen und der sie von allen anderen unterscheidet. Ich will in den Jahren, die Sie an meiner Schule sind, jene Person herausfinden, die in Ihnen steckt, um Ihre Begabung zu entfalten. Ich bin nicht mehr als ein Gärtner, ich kann die Rosen und Schneeglöckchen nicht schaffen, ich kann nur ein wenig dafür sorgen, dass sie gedeihen und nicht vom Unkraut überwuchert werden. Man kann nicht malen und sich bedeckt halten. Ein Künstler entblößt sich, oder er ist kein Künstler. Sie haben Talent, Sie sind eine begabte Studentin, aber ich fürchte, Sie versuchen, sich durch die Kunst vor dem Leben zu schützen.«
»Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Viel zu gut. Die Kunst wird Sie nicht retten. Sie verlangen sich alles ab, um vor sich selbst zu bestehen und die Achtung der anderen zu bekommen, sie zu erzwingen. Aber das ist nur ein laut tönendes Erz, wie es in der Bibel heißt, und würde nichts nützen, hast du die Liebe nicht.«
»Ich wusste nicht, dass Sie gläubig sind, Herr Professor.«
»Ich bin nicht gläubig. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Aber alle Künstler glauben an einen Genius, von dem sie abhängig sind, der etwas vermag, von demsie selbst nur einen Hauch auf das Papier bringen können und vor dem wir allesamt Schulbuben sind.«
»Ich gehe jetzt.«
»Ich halte Sie nicht, Paula. Sie sind wütend auf mich, das verstehe ich. Aber überlegen Sie noch einmal, was ich gesagt habe, wenn Ihr Zorn verraucht ist. Ich bin Ihr
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