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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Freund, Paula, nicht Ihr Feind.«
    Ohne mich zu verabschieden, verließ ich sein Zimmer. Ich schloss sorgsam die Tür, obwohl ich sie am liebsten zugeknallt hätte. Cordula hatte ich wohl etwas zu fest an mich gepresst, sie wachte auf und heulte. Ich lief mit ihr den Gang hinunter, packte sie in den Wagen und verließ die Hochschule. Ich ging sehr schnell, ich rannte fast mit dem Kinderwagen durch die Straßen. Ich wollte so schnell wie möglich in meine Wohnung, um mich dort einzuschließen.
    Zu Hause setzte ich die Kleine in den Sessel und zog ihr Mantel und Schuhchen aus.
    »Er hat gepredigt«, sagte ich zu meiner Tochter, »der Herr Pfarrer Tschäkel hat deiner Mama eine Predigt gehalten. Er ist genauso ein Arsch wie dein Vater und dein Großvater, Cordula. Ich dachte, er ist in mich verliebt, aber er liebte nur meinen dicken Bauch. Und ich dummes Huhn hatte geglaubt, er würde wegen mir seine Frau verlassen, und wir drei würden zusammenleben. Frauen sind so etwas von blöd, Cordula, ich hoffe, du wirst etwas schlauer.«
6.
    Das erste Studienjahr war wunderbar, denn mit Cordula auf dem Arm konnte ich es mir nach meinen Vorstellungen einrichten und beendete es mit guten Noten. DieZensuren verdankte ich meiner Cordula, ihretwegen drückten die Dozenten mehr als nur ein Auge zu, und keiner meiner Kommilitonen verübelte es mir, sie waren in mein Kind vernarrt.
    Wenn ich mit Cordula auf dem Arm zu den Dozenten ging, um ihnen zu sagen, dass ich wegen der Kleinen nicht in ihre Stunde kommen könne, nickten alle zustimmend. Ein Lehrer, unser Philosoph, wurde verlegen, als ich ihn ansprach, und bekam einen roten Kopf. Er schaute verwirrt auf das Baby und versicherte dann hastig, er habe volles Verständnis. Ich hatte ihn derart in Verlegenheit gebracht, dass er sich bei mir entschuldigte, als wir uns verabschiedeten.
    Mit den Studenten meines Studienjahres kam ich gut zurecht, einige halfen mir, und alle nahmen Rücksicht. Doch ich spürte, dass zwischen ihnen und mir die Distanz blieb. Christine, eins der beiden Mädchen meiner Gruppe, lachte mich aus, als ich sie darauf ansprach, und sagte dann unvermittelt: »Aber du gibst dich manchmal auch reichlich spröde, Paula.«
    Ich zuckte zusammen und sah sie entgeistert an. Ich forschte in ihrem Gesicht nach dem, was sie mir damit sagen wollte, aber Christine nahm Cordula und lief mit ihr juchzend durch das Zimmer.
    Ich wusste, dass Christine mir von allen Studentinnen am nächsten stand, und gewiss sollte ihr Satz mich nicht kränken, aber offenbar wirkte ich auf andere spröde und zurückweisend, selbst auf sie. Ich wusste nicht genau, wieso ich diesen Eindruck erzeugte. Ich wollte geliebt werden, das war alles, und nun erging es mir an der Hochschule so, wie ich es bereits von früher kannte: ich war das Mädchen, das nicht richtig dazugehörte. Irgendwann würden einige meiner Kommilitonen zu der Ansicht gelangen, dass ich arrogant sei, auch das kannte ich vonfrüher und es belustigte mich. Um stolz und überheblich zu sein, müsste man zuallererst sich selbst lieben, und ich liebte mich nicht.
    Vielleicht war ich auch nicht fähig, einen anderen zu lieben, wie vor vielen Jahren ein Freund gesagt hatte. Sebastian war es gewesen, der nette kleine Sebastian, der so unglaublich brutal sein konnte. Ich war nur kurze Zeit mit ihm zusammen. Ich war sicher, ihn zu lieben, ihn wirklich zu lieben, und nachdem er mich verlassen hatte, war es mir lange Zeit sehr schlecht gegangen und ich hatte eine Anorexie bekommen. Die anderen Patientinnen in der Psychiatrie, es waren alles Mädchen und junge Frauen, hatten es nur AN genannt, Anorexia nervosa. Ich hatte wochenlang kaum etwas zu mir nehmen können, und als ich nach drei Monaten geglaubt hatte, über den Berg zu sein, und deshalb die weiteren Termine mit dem Psychiater abgesagt hatte, trank ich eines Nachts eine ganze Flasche Wein und schnitt mir die Pulsadern auf. Ich erwachte am nächsten Mittag auf dem Sofa, überall war Blut, auch auf dem Teppich und in meinem Gesicht, beide Handgelenke schmerzten, und ich hatte Mühe zu begreifen, was mit mir geschehen war. Ich fühlte mich elend und erbärmlich, ich ekelte mich vor mir selber.
    Dass der Versuch missglückt war, hatte ich als eine weitere schwere Niederlage empfunden. Ich war aufgestanden, hatte mir die Unterarme gewaschen und Binden darum gewickelt. Ganz fest hatte ich sie gewickelt, auch wenn es höllisch wehgetan hatte, ich hatte mich wohl damit selber bestrafen wollen.

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