Frau Paula Trousseau
nicht. Ich kann mir nicht mitten in der Woche frei nehmen. Ich werde euch am Wochenende fahren. Die drei Tage musst du warten.«
»Das ist mir zu spät«, sagte ich, »dann muss es eben die Bahn sein.«
Er warf mir einen hasserfüllten Blick zu, lief zum Büffet und goss sich einen großen Cognac ein, den er in drei Zügen austrank, bevor er den Fernseher anschaltete und sich in einen Sessel setzte. Ich ging in mein Zimmer, schaltete eine Tischlampe an, um die Kleine nicht zu wecken, und legte meine Sachen für Berlin zurecht. Halte durch, Paula, ermahnte ich mich, gib nicht nach.
Beim Frühstück war er freundlich, er nahm mir sogar die Kleine ab und spielte mit ihr. Er tat, als hätte es den Streit der letzten Tage nicht gegeben. Ich lächelte ihn an, blieb aber einsilbig. Der Abschied war fast liebevoll. Er küsste mich und die Kleine mehrmals, sagte, eine seiner Sekretärinnen werde uns zum Bahnhof fahren, er werde ihr seinen Wagen geben, ich müsse ihm nur sagen, wann ich aufbrechen wolle, und in Berlin solle ich versuchen, ein Taxi zu bekommen, er werde uns am Samstagnachmittag besuchen. Er sagte auch, ich müsse mir unbedingt eine richtige Wohnung in Berlin suchen, eineDreizimmerwohnung, wenn ich schon nicht in die Wohnung seines Studienfreundes ziehen wolle. Wenn es mir recht wäre, könnte er seine Beziehungen spielen lassen. Ich sagte, mir reiche das eine Zimmer völlig aus, ich hätte in Leipzig die Wohnung und wolle mir nicht noch eine aufhalsen, die mir kaum nützen und vor allem mehr Arbeit machen würde.
Bevor er die Haustür öffnete, streichelte er mir mit dem Handrücken die Wange und sagte: »Ich liebe dich, Paula. Weißt du das auch? Ich liebe dich sehr. Deswegen möchte ich, dass du zu mir kommst. Es gibt doch auch in Leipzig eine Kunsthochschule. Warum willst du nicht hier studieren?«
»Ich wurde aber nicht von der Leipziger Schule aufgenommen.«
»Vielleicht kannst du dich umschreiben lassen. Mit dem Kind dürfte das keine Schwierigkeit sein.«
»Ich werde es versuchen«, versprach ich.
Nachdem er gegangen war, sagte ich zu Cordula: »Nein, das werden wir nicht versuchen. Uns beiden geht es in Berlin ganz prächtig, nicht wahr, meine Kleine? Da haben wir zwei unsere Ruhe, da können wir tun und lassen, was wir wollen. Und außerdem gibt es in Berlin den Herrn Professor Tschäkel, und das kann uns Leipzig nicht bieten, meine Süße. In zwei Stunden fahren wir los, Cordula.«
5.
Am Donnerstag nach Ostern meldete ich mich in der Hochschule zurück. Ich hatte Cordula im Kinderwagen mitgenommen und ließ mich und das Kind bewundern, musste im Sekretariat ein paar Papiere ausfüllen und gingmit der schlafenden Cordula in den Zeichenkurs. Ich glaube, ich habe an diesem Tag die ganze Zeit nur gelächelt. Ich muss wie ein zufriedenes Muttertier gewirkt haben, aber ich war erleichtert, weil ich wieder in der Hochschule sein und mit dem Bleistift vor einem Blatt sitzen durfte.
Am ersten Wochenende nach der Wiederaufnahme des Studiums kam Hans nach Berlin. Er übernachtete an den zwei Tagen nicht bei mir, sondern fuhr spätabends zu seinem früheren Studienkollegen nach Köpenick. Wir sahen uns tagsüber, und als er sich am Sonntagabend in den Wagen setzte, um zurückzufahren, war ich erleichtert. Gleichzeitig schämte ich mich, weil ich so war, wie ich war, weil ich ihn ausnutzte, weil ich von seinem Geld lebte und er nichts von seiner Großzügigkeit hatte. Er konnte nicht einmal seine kleine Tochter sehen, wann er wollte. Ich schämte mich und war sehr zufrieden mit mir. Wenn er mit mir nicht zurechtkam, dann sollte er sich von mir trennen. Das ist nun einmal so auf dieser Welt, man trifft sich, geht ein Stück miteinander und an irgendeiner Ecke trennt man sich. Es kann eine Träne kosten, und wenn es ganz schlimm kommt, dann kann es auch teurer werden und man hat ein paar Wochen oder Monate daran zu knabbern, doch das hat den Vorteil, dass man wieder schlank wird ohne jede Diät. Mein Mitleid mit Hans hielt sich in Grenzen. Mir war unser Arrangement, das nicht er, sondern das ich getroffen hatte, lieb und wert, und ich hatte nicht vor, es aus Rücksicht auf Hans zu ändern.
Vierzehn Tage später lief Professor Tschäkel mir in einem Flur der Hochschule über den Weg und sagte etwas Freundliches über mein kleines Mädchen. Er streichelte ihr mit zwei Fingern über die Stirn und lächelte michaufmunternd an, aber es war zu spüren, dass ich und mein Baby ihn nicht so sehr interessierten
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