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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Dann hatte ich das Blut abgewaschen und das Zimmer gesäubert. Wegen der Schnittwunden war ich nicht zum Arzt gegangen, weil ich wusste, dass Ärzte jeden Selbstmordversuch melden müssen. Ich versorgte die Wunden selber, auch dann noch, als das linke Handgelenk eiterte, und ich kaufte mir eine Blusemit sehr langen Ärmeln, die fast die halbe Handfläche bedeckten. Die anderen Schwesternschülerinnen bemerkten natürlich etwas, aber keine verpetzte mich. Wenn es die Oberschwester oder eine andere Schwester mitbekommen hätte, vielleicht hätte ich dann die Lehre schon damals abbrechen müssen. Bei den Ärzten brauchte ich nichts befürchten, die würden es nicht einmal bemerken, wenn ich mit kurzen Ärmeln im Krankenhaus herumgelaufen wäre, sie schauten uns Schwesternschülerinnen allenfalls auf Brust, Hintern und Beine.
    Sebastian, der einzige Junge, den ich wirklich geliebt habe, hatte sich von mir mit den Worten verabschiedet, ich sei unfähig zu lieben. Ich hatte ihn nur wütend angeblitzt und nichts gesagt. Er hatte mein Zimmer verlassen, und wir haben uns nie wieder gesehen. Dass es ausgerechnet Sebastian war, der mir das gesagt hatte, verletzte mich tief, und es passiert mir noch heute, dass ich mitten in der Nacht wach werde und über diesen Satz nachgrüble. Ich denke, ich kann genau wie jeder andere Mensch, wie jede andere Frau lieben, doch im Unterschied zu den anderen rede ich mir nicht ein, dass man selbstlos und uneigennützig liebt. Dass jemand sich selbst völlig für die Liebe zu einem anderen Menschen aufgibt und aufopfert, daran glaube ich nicht. Diejenigen, die so denken und handeln, sind genau jene, bei denen die Liebe sehr rasch in ihr Gegenteil umschlagen kann und die dann jene mit Hass verfolgen, die sie eben noch abgöttisch liebten. Und keiner stirbt aus Liebe, jedenfalls nicht aus Liebe zu einem anderen. Die Leute bringen sich um, weil sie enttäuscht wurden. Was Sebastian mir vorgeworfen hat, war einfach nicht wahr. Ich bin nur nicht sentimental, nicht so gefühlsduselig wie die meisten anderen Menschen, ich schütze mich damit auch vor dem ganz großen Unglück, das mich das Leben kosten könnte. (Als ob das einVerlust wäre!) Es ist das bisschen Vernunft, das mich daran hindert, kopfüber in die nächste Kalamität zu stürzen, aus der ich dann wieder nur heulend und abgemagert herausfinde. Ein Funke Vernunft, nicht mehr.
    Sebastians Bemerkung hatte mich geärgert und gekränkt. Sie machte mich aggressiv, was mir recht war, denn das gab mir die Kraft, die Trennung von ihm durchzustehen. Meine Aggressivität ist meine wichtigste Kraft und mein Schutzschild. Mit ihr kann ich mich gegen alles und jeden behaupten. Mit meiner Aggressivität bin ich imstande, über das Wasser zu laufen. Da konnte auch ein Professor Tschäkel nichts gegen mich ausrichten, solange ich nicht zuließ, dass sich irgendwo in mir die Angst einnistete. Ich hatte einfach beschlossen, nie wieder so zu lieben, dass ich später leiden muss.

    Im zweiten Studienjahr bekam ich ein Leistungsstipendium zugesprochen, sechzig Mark monatlich mehr. Über diese staatlichen Stipendien entschied die Seminargruppe. Unsere Gruppe hatte eine monatliche Gesamtsumme zur Verfügung, deren Vergabe wir in einer turbulenten Nachmittagssitzung festlegten. Es gab Tränen und Türen wurden geknallt, aber schließlich fanden sich alle mit dem Ergebnis ab. Ein Junge erhielt achtzig Mark, ein anderer Kommilitone und ich bekamen sechzig und zwei weitere Studenten vierzig Mark. Ich war stolz auf diese Auszeichnung, denn das Geld wurde mir nicht wegen der Mehrbelastung durch das Baby zuerkannt, sondern für meine Leistungen im ersten Studienjahr. Hans hat darüber gelacht, als ich es ihm erzählte, denn sechzig Mark waren für ihn kein Geld, und ich ärgerte mich, dass ich es ihm erzählt hatte. Den Eltern gegenüber erwähnte ich es auch, ich war so überglücklich, dass ich schon in der ersten Stunde bei ihnen damit herausplatzte. Ich sagte es, damitsie endlich begriffen, dass ich eine richtige Malerin bin und es mir nicht nur einbilde. Vater verzog einen Moment das Gesicht und sagte dann, das sei schön und er freue sich darüber. Ich glaubte ihm kein Wort. Mutter musste ich erklären, was ein Leistungsstipendium ist, und sie freute sich wirklich, aber nur, weil ich etwas mehr Geld in der Tasche hatte.
7.
    Die fünf Jahre an der Kunsthochschule überstand ich gut. Es war die schönste Zeit in meinem Leben, obwohl ich durch Cordula mehr zu tun

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