Frau Paula Trousseau
ich miteinem kurzen Blick feststellte, er war mit sich vollkommen zufrieden. Dann wollte die Richterin von ihm wissen, ob er noch immer an der Behauptung festhalte, dass unsere Ehe nicht zerrüttet sei und ob unsere sexuellen Kontakte tatsächlich und wie von ihm behauptet eheähnlich wären oder ob nicht doch meine Darlegung zutreffe, wonach seit der erzwungenen Schwangerschaft kaum noch ein intimes Beisammensein stattgefunden habe, also seit mehr als drei Jahren weniger eine Ehe als vielmehr ein eher kameradschaftliches Verhältnis zwischen uns bestanden hätte.
Er schwieg, und ich sah zu ihm. Er atmete schwer. Er wandte sich kurz zu Wilhelm, der neben ihm saß, dann sah er die Richterin an und sagte, es sei so, wie seine Frau es dargestellt habe, sie sei den ehelichen Pflichten nicht nachgekommen.
»Weder ihren ehelichen noch ihren mütterlichen«, fügte er hinzu.
Eine halbe Stunde später war die Scheidung erfolgt, das Sorgerecht für Cordula wurde ihrem Vater zugesprochen. Die Richterin fühlte sich bemüßigt, mir zu erklären, weshalb sie Cordula ihrem Vater gab. Sie sagte, dass dafür keineswegs die Behauptungen und Unterstellungen meines Mannes den Ausschlag gegeben hätten, sondern allein meine Einlassungen über die mir aufgenötigte Schwangerschaft, zumal ich diese als eine Vergewaltigung dargestellt habe, was zwar rechtlich unkorrekt sei, aber sie könne meine Beweggründe für diese Behauptung durchaus verstehen. Meine so unzweideutig vorgetragene Bereitschaft, notfalls auf meine Tochter zu verzichten, hätten bei ihr allerdings Zweifel an meiner Eignung als Mutter geweckt, die erzwungene Schwangerschaft könnte eine Störung meines Verhältnisses zu meiner Tochter verursacht haben, weshalb es ihr geboten erschienen sei, den Ehemann als Erziehungsberechtigten zu benennen.
Als wir das Gerichtsgebäude verließen, fragte mich meine Anwältin, ob ich das Urteil verstanden hätte, ob ich begriffen hätte, dass mir soeben meine Tochter abgesprochen und dem Vater übergeben worden sei.
»Ja«, sagte ich, biss die Zähne zusammen und sah sie finster an.
»Das war nicht nötig«, sagte die Anwältin. Sie sagte es ganz leise, als ob es ihr wehtun würde.
»Ich wollte die Scheidung«, entgegnete ich.
»Wir hätten beides bekommen, Ihr kleines Mädchen und die Scheidung. Ihre Erklärung vor der Richterin war völlig überflüssig. Damit haben Sie sie geradezu gezwungen, Ihnen Ihr Kind abzusprechen.«
»Schicken Sie mir die Rechnung«, erwiderte ich schroff, »wenn sie zu hoch ist, muss ich in Raten bezahlen. Ich habe jetzt nur noch mein Stipendium.«
Dann gab ich ihr die Hand, drehte mich um und lief weg. Ich hatte keine Lust, mir ihre Vorwürfe anzuhören. Sie hatte dazu kein Recht. Ich wusste, was ich getan hatte, ich hatte es mir sehr genau überlegt, Tage vorher schon, und ich hatte nicht vor, mit irgendwelchen Menschen, die diese Entscheidung nicht verstehen können oder für falsch halten, darüber zu reden. Es war für mich schwer genug, und ich hatte einfach nicht die Kraft, mich zu verteidigen. Sollten sie doch alle von mir denken, was sie wollten. Sie führen ihr Leben, und ich führe meins. Cordula ist meine Tochter, aber wahr ist auch, dass ich sie noch nicht haben wollte, für mich kam das Kind viel zu früh. Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, Mutter zu sein. Ich wollte leben und nicht Leben schenken, jedenfalls nicht so bald. Ich erwartete nicht, dass mich einer versteht. Ich erwartete nicht einmal, dass ich dadurch glücklicher werde, vielmehr wusste ich, dass ich todunglücklich sein würde, wenn Cordula nicht mehrbei mir sein, wenn ich sie nicht jeden Morgen begrüßen und jeden Abend an ihrem Bett sitzen würde. Ich wusste, dass ich einen sehr hohen Preis bezahle, aber ich wusste auch, es war der Preis für die Freiheit. Der Preis meiner Freiheit. Ich würde ersticken, wenn ich nicht den Mut dazu aufbrächte, mich von allem zu lösen, auch von Cordula. Ich wollte mich tapfer von ihr verabschieden, ihr all das sagen, was sie verstehen konnte, um dann für immer aus ihrem Leben zu verschwinden. Es sollte ein Schmerz sein, ein einziger, den Cordula schneller und leichter überwinden würde als ich, denn sie war ja erst drei Jahre alt und würde vergessen. Sie würde rasch vergessen. Sie würde mich vergessen. Schon nach einem Monat wäre ich für sie nur noch ein ferner Schatten, eine undeutliche Erinnerung, kaum noch gebunden an einen bestimmten Menschen, ein bestimmtes
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