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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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wollte Hans kommen, so war es verabredet, aber er kam bereits eine Viertelstunde früher. Er nahm Cordula auf den Arm, die ihn laut schreiend begrüßte, und wirbelte mit ihr durch das Zimmer. Dann nahm er ihre Hand, sah sich die gepackten Koffer an, die Taschen und den Mehlsack, und warf einen verächtlichen Blick auf meine Zimmereinrichtung. Er lief wie ein römischer Imperator durch mein Zimmer, jede Bewegung strahlte seinen Triumph aus. Er sagte nichts, aber sein Gesicht, seine Augen, jede seiner Gesten drückte tiefe Befriedigung aus. Er glaubte, er habe mich vernichtet, mich für immer unglücklich gemacht, und er genoss sichtlich den Erfolg. Dass er mir nun Cordula entführte, war für ihn augenscheinlich die Krönung seines Vergnügens, der Volltreffer, der mich auf die Bretter schickte. Für ihn war es ein K.-o.-Sieg.
    Er sprach nur mit Cordula. Wenn er mich etwas fragen musste, stellte er ihr die Frage, auch wenn das Kind darauf gar nicht antworten konnte, und ich antwortete, indem ich ebenfalls Cordula ansprach. Nach der Inspektion meines Zimmers nahm er das Gepäck und trug es zu seinem Wagen. Als er alles verstaut hatte, kam er ein letztes Mal in die Wohnung, um meine Tochter zu holen. Er rief sie und streckte die Hand aus, und Cordula rannte zu ihm, ohne nach mir zu sehen. Als er die Tür zum Korridor öffnete, um grußlos davonzugehen, hielt er plötzlichinne und fragte seine Tochter, ob sie sich nicht von ihrer Mutter verabschieden möchte. Seine Augen zeigten dabei eine Mischung von Stolz und Ertapptsein, als gäbe es hinter seinem Triumphgebaren noch eine Spur von Scham. Cordula ließ seine Hand nicht los, wandte nur den Kopf zu mir und schaute mich blass und ernst an.
    »Ich hasse dich, Mama«, sagte sie.
    Ich wusste keine Antwort und nickte.
    Das war der Abschied von meiner Tochter. Nachdem sie gegangen waren, lief ich ein paar Mal durch das nun völlig leer wirkende Zimmer. Ich stellte ein paar Möbel um, damit es mir weniger unheimlich vorkam. Schließlich griff ich nach dem Zeichenblock und malte wild drauflos. Ich zeichnete nicht Cordula, sondern immerfort nur Hans. Hans den Sieger, den Imperator, den Gewinner, den Triumphator. Ich versuchte, den Ausdruck seiner Augen auf das Blatt zu bekommen, aber es gelang mir nicht, von jedem Blatt starrten mich die Augen eines Schweins an.
9.
    Am Sonntagnachmittag klingelte es an der Tür. Cornelia und Paula waren in der Küche mit dem Abwasch beschäftigt, ihre Mutter stand im Wohnzimmer und bügelte die Hemden von Vater und Clemens. Der Vater hatte sich wie jeden Sonntagnachmittag in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, weil er die Schulwoche vorbereiten müsse. Clemens war unmittelbar nach dem Mittagessen in die Kneipe gegangen.
    »Geh mal einer an die Tür«, rief die Mutter den Mädchen zu.
    Paula stellte den Teller ab und wollte schon zur Tür, als Cornelia streng sagte: »Ich gehe.«
    Sie nahm Paula das Geschirrtuch ab, trocknete sich rasch die Hände und lief in den Flur, doch der Vater war bereits an der Tür und öffnete sie.
    Vor dem Haus standen zwei Soldaten, zwei russische Soldaten. Sie nahmen ihre Mützen ab, hielten sie vor die Brust, und murmelten verlegen eine Begrüßung. Ihre Köpfe waren völlig kahl geschoren, wodurch die Ohren auffällig groß wirkten. Sie waren vielleicht achtzehn Jahre alt, höchstens zwanzig, aber in ihrer Uniform und in den blank geputzten Schaftstiefeln, deren Leder sich an der Wade kräuselte, sahen sie aus wie unreife Schulkinder, zwei hübsche Jungen mit breiten Schultern und bäuerlichen Händen. Sie standen verlegen in der Tür.
    Der Vater strahlte, als er die beiden Soldaten sah, und lud sie mit großer Geste ins Haus ein. Die Soldaten waren so befangen, dass beide beim Eintreten über die Schwelle stolperten. Der Vater lachte darüber sehr herzlich und schlug ihnen auf die Schulter. Er fragte sie nach dem Grund des Besuches und fügte hinzu, er freue sich, zwei Vertreter der ruhmreichen sowjetischen Streitkräfte in seinem Haus begrüßen zu dürfen. Er sah die Soldaten erwartungsfroh an, doch diese schwiegen und lächelten nur. Dann sagte einer von ihnen ein Wort, Vater zuckte mit den Schultern und sah hilfesuchend zu seiner Tochter, doch auch Cornelia hatte ihn nicht verstanden. Der Soldat wiederholte das Wort, es hörte sich an, als ob er den Namen Clemens sagte.
    »Clemens?«, sagte der Vater, »der Clemens ist nicht zu Hause. Wenn Sie Clemens sprechen wollen, dann kommen Sie besser vormittags. Oder

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