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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Sie gehen in die Bahnhofsgaststätte, dort treffen Sie ihn sicherlich.«
    Die Soldaten sahen ihn so verwirrt an, dass er sich bei ihnen erkundigte: »Sprechen Sie Deutsch? Du Deutsch? Po nemetzki?«
    Die Russen schüttelten den Kopf.
    »Macht nichts«, sagte der Vater, »macht überhaupt nichts. Meine beiden Mädchen können übersetzen. Die lernen Russisch in der Schule. Da bin ich der Schuldirektor.«
    Er griff nach Cornelia, stellte sie vor sich und sagte zu ihr: »Übersetze es den Soldaten. Übersetze alles, was ich gesagt habe.«
    Cornelia war vor Schreck völlig steif. Sie sah die Soldaten an und brachte mühsam ein paar Vokabeln hervor. Das Wort Schule konnte sie sagen und das Wort Direktor. Dann dachte sie lange nach und sagte schließlich einen ganzen Satz auf Russisch, sie sagte ihnen, dass sie in der Schule Russisch lerne.
    Verängstigt schaute sie auf den Vater, aber der strahlte zufrieden, nickte und streichelte seiner Tochter anerkennend über das Haar. Dann sah er erwartungsvoll die Soldaten an.
    Der Soldat, der nach Clemens gefragt hatte, betrachtete verständnislos das Mädchen und ihren Vater, er schien kein Wort verstanden zu haben. Er sah kurz zu seinem Kameraden, der mit offenem Mund neben ihm stand und fortgesetzt Cornelia anstarrte, dann fragte er wiederum nach Clemens.
    »Alles gut«, sagte der Vater, »es ist alles gut.«
    Er wandte sich an seine Tochter und forderte sie auf: »Übersetze ihnen, was ich gesagt habe.«
    Cornelia war von dem Lob des Vaters und der überraschenden, gewichtigen Aufgabe geschmeichelt, übersetzte stockend und so gut es ihr möglich war die Äußerungen des Vaters. Soweit sie die beiden Russen verstand, hatten diese ihren Bruder Clemens auf einem Volksfest kennengelernt, und er hatte sie für den heutigen Tag eingeladen.
    »Um drei Uhr. Drei Uhr«, übersetzte sie ihrem Vater.
    Der Vater lachte und sagte, dass Clemens seine Einladung offenbar vergessen habe. Er sagte es so vergnügt, als sei er von seinem Sohn solche Eskapaden gewohnt und würde diese stets vergnügt und mit nachsichtigem Lachen quittieren. Dann bat er die beiden Soldaten ins Wohnzimmer, nötigte seine Frau, die Wäsche abzuräumen und für die Gäste Kaffee zu machen.
    »Nein«, unterbrach er sich, »keinen Kaffee, Tee natürlich. Mach eine große Kanne Tee für unsere Sowjetsoldaten. Und stell Kuchen auf den Tisch. Die beiden Jungen haben sicher Appetit. In diesem Alter verdrückt man was.«
    Er blickte zu Cornelia, damit sie übersetze, was er gesagt habe, doch sie war völlig überfordert und lächelte die beiden Soldaten nur an. Als Paula im Zimmer erschien, stellte der Vater sie den Soldaten vor und sagte, auch sie würde Russisch lernen, sei aber ein Dummerchen, das kaum die Lippen auseinanderbrächte. Er lächelte Paula dabei an, und das Mädchen brachte vor Verwunderung tatsächlich keinen Ton hervor. Sie hatte ihren Vater schon lange nicht mehr so zärtlich erlebt.
    Die Unterhaltung am Tisch bestritt der Vater nahezu allein. Von den Soldaten war nur zu erfahren, dass sie Wanja und Sascha hießen und seit zwei Jahren an der Westfront stationiert waren. Der Vater lachte darüber und fragte, was denn die Westfront sei, und sie erklärten ihm verwundert, Germanija, Deutschland sei ihre Westfront. Der Vater lachte schallend. Er nannte die zwei die Söhne der Befreier und Sozialisten, worauf die Soldaten nichts erwiderten. Während der Vater über den Krieg und den Faschismus sprach, über die vielen Opfer der Sowjetunion, schauten die beiden immerzu Cornelia und Paula an. Nach einer halben Stunde standen sie abrupt auf und erklärten, sie müssten in die Kaserne zurück. Der Vaternickte und sprach von einem heiligen Dienst. Er lud sie ein, sie am nächsten Sonntag wieder besuchen zu kommen, dann würde Clemens gewiss da sein.
    »Wir sind doch Freunde«, sagte er zum Abschied und forderte mit einem Blick Cornelia auf, es zu übersetzen.
    Nachdem die Soldaten das Haus verlassen hatten, beschimpfte er seine Frau, weil sie einen trockenen Kuchen aus Mehl und Wasser auf den Tisch gestellt hatte. Die Mutter schrie zurück, dass sie ohne Geld nicht backen und nicht kochen könne und er mit seinen Gästen gefälligst in eine Gaststätte gehen solle, besonders wenn ihm so viel daran liege, mit Leuten Umgang zu haben, von denen man kein Wort verstehe. Die Mädchen, die eben noch von der Herzlichkeit ihres Vaters überrascht waren, verkrochen sich in ihr Zimmer. Sie stellten das Radio an und hörten,

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