Frau Paula Trousseau
fürchtete, es würde Waldschmidt nicht gelingen, Sibylle in mir auszulöschen, und Furcht und Angst krampften meinen Körper zusammen und bereiteten mir Bauchschmerzen. Außer dieser Angst und der Angst vor dieser Angst spürte ich ein undeutliches Gefühl vonSehnsucht nach einer anderen Freiheit. Es war ein Kindergefühl, wie ich mich urplötzlich erinnerte, meine Sehnsucht nach einem ganz anderen Leben, die mich die ganze Kindheit hindurch begleitetet hatte, und es nahm mir den Atem, als mir deutlich wurde, dass dieses verworrene Verlangen nun eine Farbe bekam, ein Gesicht, einen Körper. Den Körper und die Wärme einer Frau. Den Geruch von Sibylle. Mir wurde auf dem Toilettensitz fast schwindlig, als ich mir das klarmachte. Ich stand rasch auf, ging zur Dusche und ließ kaltes Wasser über mein Gesicht und meine Unterarme fließen. Dann ging ich zu Waldschmidt und streichelte und küsste ihn dort, wo er es mochte, ich bot mich ihm an, entzog mich ihm, stieß ihn zurück, um ihn sofort wieder anzulocken. Er schloss die Augen und stöhnte laut, griff mit seinen beiden dicken Pranken nach mir, vergrub seinen Kopf in meinem Bauch, fuhr mit den Händen meinen ganzen Leib ab, drückte meine Haare, mein Gesicht gegen sein Geschlecht, presste seinen Mund auf meinen, dass ich kaum Luft bekam. Ich bewegte mich, ich stöhnte. Plötzlich beugte er sich über mein Gesicht und sagte: »Was zum Teufel ist mit dir los, Paula?«
Ich öffnete die Augen nur halb, stöhnte nochmals und erwiderte: »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was du meinst. Ich bin verrückt nach dir.«
»Nein, das bist du nicht. Das bist du ganz und gar nicht. Ich weiß, wann eine Frau heiß ist, ich weiß das ganz genau. Und ich weiß zufällig auch, wann du scharf bist. Du spielst mir irgendetwas vor.«
»Komm, Freddy, komm endlich«, sagte ich nur und streichelte ihn heftig.
»Ach, zum Teufel«, sagte er, legte sich auf mich rauf, zwang seinen Schwanz in mich rein und erledigte sein Geschäft. Denn mehr war es nicht. Als er sich neben mich wälzte, atmete ich heftig, ich wollte die Scham und denSchmerz wegatmen, ich wollte unbedingt verhindern, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Es war alles so lächerlich, dass ich heulen könnte. Nein, nicht irgendetwas war lächerlich, ich war lächerlich.
Waldschmidt missverstand mich. Er stieß mich mit dem Ellbogen und sagte: »Tu bitte nicht so, als ob du einen Orgasmus gehabt hättest. Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber du musst mich nicht für blöd halten.«
Er drehte sich auf die Seite und schnarchte schon, bevor er eingeschlafen war. Ich wartete noch ein paar Minuten, dann ging ich ins Bad und anschließend in mein Zimmer. Ich verkroch mich unter die Decke und wollte einfach losheulen, aber selbst das gelang mir nicht. Ich hatte etwas auslöschen wollen, und das einzige Mittel, das mir dafür eingefallen war, hatte sich als völlig ungeeignet erwiesen. Ich lag wach, hielt die Augen geöffnet, ich wollte sie nicht schließen, weil ich dann Sibylle vor mir sah, die schöne Sibylle, die nackte Sibylle, die Frau, die mich küsste und streichelte und die ich geküsst und gestreichelt hatte.
»Paula, Paula!«, sagte ich laut zu mir. »Was ist los? Was treibst du für ein Spiel? Was soll das mit dieser verrückten Sibylle? Die ist vielleicht lesbisch und weiß es gar nicht oder will es nicht wissen. Aber du nicht, Mädchen! Was zum Teufel ist mit dir los?«
Doch diese Frage konnte ich nicht beantworten. Ich war wütend auf Sibylle, aber im Grunde wusste ich, dass sie nicht daran schuld war, dass ich ganz allein und mit klarem Verstand und vollkommen bewusst da hineingeschlittert war.
Waldschmidt war gewiss nicht der ideale Liebhaber, aber darum hatte ich mich auch nicht für ihn entschieden, an ihm hatte mir anderes gefallen und gefiel mir immer noch. Er war fünfunddreißig Jahre älter als ich, das vorallem war es, was mir an ihm gefiel. Er strahlte Gelassenheit aus, keine schwächliche, langweilende, passive Ruhe, nicht die Trägheit eines alten Mannes, sondern Kraft, die aus einer Haltung kommt. Meine Launen ertrug er, sie schienen ihn sogar zu amüsieren. Vielleicht war es mein kleines Lebenschaos, was ihn an mir reizte, ihm machte es Spaß, dass ich noch immer irgendwo nicht erwachsen war, wie er meinte. Er war auf eine angenehme Art selbstbewusst, ganz anders als der selbstgefällige und eitle Hans. Waldschmidt ruhte in sich, wie ein Stein, wie ein Felsbrocken. Was ihn nicht
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