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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ein nettes Kerlchen. Da wurde ein Student für ein Jahr in die Produktion geschickt, weil er mit einem Picassoband erschien. Ein Jahr musste er auf dem Bau arbeiten, damit ihm die Arbeiterklasse seine Dekadenz austreibt. Er ist danach nicht mehr bei uns aufgetaucht, er hat die Malerei aufgegeben, er musste sie aufgeben. Auf dem Bau hat er sich drei Finger abgerissen, von seiner Malhand, er wurde berentet, mit dreiundzwanzig bekam er die Krüppelrente, wegen einem Bildband von Picasso. Und das will ich nie wieder erleben, Paula, und ich will es dir ersparen. Nur darum wurde ich so heftig. Heute ist das alles viel besser geworden, man hat ein bisschen dazugelernt, aber wenn du abstrakt anfängst, Mädchen, dann kann ich dir nicht helfen. Und ich will es auch nicht. Wenn du abstrakt malen willst, dann brauchst du keine Ausbildung, jedenfallsnicht von mir und nicht an meiner Schule. Da reicht es völlig, wenn du mit Gefühlen malst. Da brauchst du nur etwas fühlen, und das schmierst du dann auf die Leinwand. Und wenn den Leuten das gefällt, in dieser Welt ist alles möglich, dann kannst du damit sogar Geld verdienen. Aber dann will ich auf deinen Ausstellungen nicht als dein Lehrer genannt werden, denn diesen Dreck lehre ich nicht. Und für den Marstall habe ich deine Landschaft angemeldet, und das wird nicht mehr geändert. In deinem Interesse, mein Liebling, denn wenn etwas geändert wird, dann kann sich plötzlich alles ändern, und du fliegst aus der Ausstellung raus, weil du eigentlich nicht hineingehörst, weil dort außer dir kein einziger Student ausstellen darf. Verspiele nicht deine Chancen, Mädchen, nur wegen eines Spleens.«
    »Können wir darüber sprechen, wenn das Bild fertig ist?«
    »Sicher. Aber es wird nichts an der Entscheidung ändern. Die Landschaft oder niente, du hast die Wahl.«
    »Du bist ein Ekelpaket. Ein Dogmatiker, wie er im Buche steht. Du willst ein Künstler sein, aber in Wahrheit verhinderst du die Kunst.«
    »Ich verhindere deine Kunst? Ich? Derjenige, der dafür gesorgt hat, dass du im Marstall ausstellen kannst? Frage deine Kommilitonen. Wenn sie auch der Meinung sind, dass ich dich und deine Kunst behindere, dann will ich mich gern eines Besseren belehren lassen. Aber ich glaube, die werden ganz anders darüber denken. Die sind nämlich der Ansicht, dass ich dich protegiere, und ich meine, da irren sie sich nicht. Doch vielleicht sehe ich das alles völlig verkehrt, vielleicht täusche ich mich. Wenn deine Kommilitonen der gleichen Meinung sind wie du, dann können wir gern noch einmal darüber sprechen. Einverstanden, meine Süße?«
    Ich stand auf und rannte aus dem Zimmer, die Tür rutschte mir dabei aus der Hand, so dass sie knallend zuschlug. Für einen Moment überlegte ich, ob ich noch einmal zu ihm gehe, um mich für das Zuschlagen zu entschuldigen. Doch ich schüttelte den Kopf und rannte die Treppe hoch in mein Atelier. Ich war wütend auf ihn und auf mich. Ich wusste, er hatte Recht. Nur seinetwegen war ich für die Ausstellung benannt worden, und ich sollte mich damit zufriedengeben und nicht noch verlangen, dass dort ein Bild ausgestellt wird, welches er von Beginn an für völlig unangemessen hielt. Ein Bild zudem, das im Entstehen war, von dem ich noch immer nicht wusste, ob es mir gelingen würde. Ich hasste ihn, weil er Recht hatte, und ich hasste mich, weil er mir helfen konnte, weil er mir helfen musste, weil ich seine Hilfe brauchte.
    Ich setzte mich vor die große Leinwand, auf der nichts weiter zu sehen war als ein paar mehrfach retuschierte Kohlestriche und weißliche Farbkleckse, einige Proben, die ich aufgetragen hatte, um die möglichen Schattierungen und Nuancen eines weißen Bildes zu sehen. Ich setzte mich vor mein nicht vorhandenes Bild und heulte. Ich schluchzte laut, ich fühlte mich ausgekotzt, erbärmlich, hilflos. Er konnte seinen Spott über mich ausgießen, und ich hatte nichts entgegenzusetzen, weil ich von ihm abhängig war. Er genießt deine Abhängigkeit, sagte ich mir, ihm gefällt es, dir zu helfen, aber nur, weil er sich dadurch bestätigen kann, weil er seine Macht zeigen kann, seinen Einfluss. Er hilft dir nur, um dich zu demütigen. Plötzlich hatte ich das Papiermesser in der Hand und führte es mehrmals dicht über die aufgespannte und grundierte Leinwand mit den Farbflecken, bevor ich bemerkte, was ich tat, und erschrocken die Hand zurückzog. Du schaffst es, sagte ich mir, du musst es schaffen, du wirst es ihm zeigen, ihm und

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