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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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organisiert. Ich glaube, der Ort heißt Split.«
    »Kenne ich auch. Split ist wunderbar, einentzückendes Städtchen. Das wird dir gefallen, Paula. Ist das eine Premiere für dich? Die erste Fahrt in den verbotenen Westen?«
    »Ja. Waldschmidt hat das für mich durchgesetzt.«
    »Wunderbar. Dann genieße das Leben. Es macht Spaß, unser Paradies einmal zu verlassen. Dann sehen wir zwei uns im Herbst wieder?«
    »Ich habe so viel zu tun, Sibylle.«
    »Ich hoffe nur, du hast keine Angst vor mir.«
    »Angst? Wieso denn? Wie kommst du denn darauf?«
    »Das musst du auch nicht. Wir sind doch Freundinnen, oder? Nichts weiter als zwei gute Freundinnen.«
    »Ja, selbstverständlich.«
    »Zwei Freundinnen, die sich etwas nähergekommen sind. Was sie nicht bedauern und was sie keinesfalls davon abhält, weiterhin gute Freundinnen zu sein.«
    »Ich glaube, Waldschmidt kommt gerade. Ich muss auflegen. Sibylle. Alles Gute für dich.«
    »Hab einen schönen Sommer, meine Liebe. Und arbeite nicht zu viel. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit.«
    Ich legte den Hörer auf, als Waldschmidt ins Haus kam. Er küsste mich flüchtig und fragte, wer angerufen habe. Ich sagte, es sei eine Freundin gewesen, eine Kommilitonin. Er schaute mich überrascht an.
    »War irgendetwas? Ist was passiert?«, fragte er.
    »Nein. Wieso?«
    »Du klingst so merkwürdig. Eine schlechte Nachricht?«
    »Nein, überhaupt nicht. Es ist alles in Ordnung. Sie hat mir nur von ihrer Prüfung erzählt.«
    »Du bist ganz rot, Paula, du glühst ja richtig. Hast du Fieber?«
    »Unsinn. Ich bin nur außer Atem, weil wir am Telefon so viel gelacht haben. Möchtest du Tee?«
    Ich ging in die Küche, setzte Wasser auf für den Tee, deckte den Tisch, stellte den Kuchen hin, nahm den Beutel mit den Teeblättern aus der Kanne und sagte Waldschmidt, er solle ins Wohnzimmer kommen. Er erzählte von seiner Arbeit, und obwohl er über die Marstall-Ausstellung redete, hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Als er auf mein Bild zu sprechen kam und ich ihm sagte, dass im September mein weißes Bild fertig sei und ich unbedingt dieses Bild ausstellen wolle, kam es zum Streit. Er meinte, ich sei undankbar, ich solle zufrieden sein, dass ich überhaupt ausstellen dürfe, und er könne für mich keine Extrawurst braten, Ärger würde es ohnehin geben, da ich bei ihm lebe und der einzige Student sei, der bei der Ausstellung dabei sein dürfe. Dann machte er dumme Bemerkungen über mein weißes Bild, von dem er noch nie etwas gesehen hatte, weder die Leinwand noch eine Skizze. Er schüttelte belustigt den Kopf, hielt meine Idee für pubertär und sagte, ich solle mir endlich diese Flausen abgewöhnen.
    »Und wenn es abstrakt wird oder nur so wirkt, dann kannst du es gleich vergessen«, sagte er gereizt, »an meiner Schule lernt man malen und nicht klecksen. Für diese Schmierereien braucht es keine Ausbildung, das kann jeder Affe mit seinem Schwanz. Komm mir also nicht mit abstrakt an, für mich ist das ein Exmatrikulationsgrund. Ich will keine Moden an meiner Schule, sondern den Leuten das Handwerk beibringen, bei mir wird richtig ausgebildet. Wenn ihr die Schule verlasst, dann könnt ihr machen, was ihr wollt, das interessiert mich dann nicht mehr. Aber bei mir ist die Schule ein Meisterkurs, und damit meine ich die alten Meister, die das Malen von der Pike auf gelernt haben und es beherrschten. Rumklecksen lehre ich nicht, dafür ist mir meine Zeit zu schade. Komm mir also nicht mit abstraktem Scheiß an, Paula.«
    »Du hast noch kein Blatt davon gesehen, keine Skizze, du weißt überhaupt nichts von meinem Bild.«
    »Dann zeig es mir. Sofort, bitte. Gehen wir hoch in dein Atelier, und du zeigst mir, was du hast.«
    »Du bekommst es zu sehen, wenn es fertig ist. Ich will nicht, dass du dich über mich lustig machst, nur weil das Bild noch nicht fertig ist und du sowieso dagegen bist. Ich weiß ja, was du davon hältst, das hast du deutlich gesagt.«
    »Komm, komm, Paula, sei nicht gleich eingeschnappt. Ich will doch nur dein Bestes. Und ein weißes Bild, weißt du, das klingt für mich nach Ärger. Ich bin ein paar Jahre länger an dieser Schule als du, ich habe ein paar Versammlungen miterlebt, die ich nie wieder zu erleben hoffe. Vor zwanzig Jahren, da wärst du von der Schule geflogen, wenn du nur den Wunsch ausgesprochen hättest, ein weißes Bild zu malen. Im hohen Bogen wärst du geflogen. Damals war Picasso das Schlimmste, er galt als letzter Dreck. Gegen ihn war Hitler geradezu

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