Frau Paula Trousseau
mich wunderbar, leicht und glücklich und frei. Ich spürte das Leben in mir, wie ich es nie empfunden hatte. Ich wollte sterben. Ich wollte leben. Plötzlich riss mich ein heftiges Schaukeln der Matratze aus meinen Träumen, Sibylle schnellte aus dem Bett, schlüpfte in einen weißen Bademantel und sagte: »Ich geh und mache uns einen Kaffee. Zieh dich langsam an. Lass dir Zeit, Paula.«
Ich stand auf und ging ins Bad. Ich schaute mir Sibylles Kosmetika auf dem gefliesten Bord des Badezimmers an, nahm die Tuben und Fläschchen in die Hand, roch an ihnen und schminkte mich. Eine Viertelstunde später ging ich angekleidet ins Wohnzimmer hinunter. Sibylle hatte Kaffee gemacht und Konfekt und eine Whiskyflasche auf den Tisch gestellt. Sie saß im Sessel und rauchte, und als ich kam, reichte sie mir die Zigarettenschachtel herüber. Ich schüttelte den Kopf und setzte mich in meinen Sessel.
»Du bist so schön«, sagte sie.
Ihr Lob verwirrte mich. Im Bett waren ihreLiebesbeteuerungen so einfach und natürlich gewesen, und sie hatten mich beglückt, aber hier am Tisch wurde ich verlegen. Sibylle bemerkte es, redete aber unbefangen weiter, goss mir Kaffee ein, bot mir einen Schnaps an und wollte mit mir über meine Arbeit reden, über mein weißes Bild. Irgendwann nahm ich alle Kraft zusammen, schaute sie an und sagte: »Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Sibylle. Bin ich lesbisch?«
Sie beugte sich vor, um meine Hand zu fassen, lächelte mich an und sagte: »Nein, ich glaube nicht.«
»Aber was ist dann mit mir los? Ich verstehe mich selbst nicht.«
»Das musst du nicht. Es war schön, das ist alles. Mach es nicht durch Nachdenken kaputt.«
»Bist du lesbisch?«
Sibylle lachte laut auf: »Nein, Paula, sicher nicht. Ich bin überhaupt nicht lesbisch. Ich liebe die Männer und ich liebe Pariani, ich liebe ihn über alles. Nein, lesbisch bin ich keineswegs.«
»Aber … wir haben … du hast mit mir …«
»Nicht nachdenken, Paula. Ich habe dich sehr gern, ich liebe dich, und wir haben uns geliebt. Das ist schon alles. Ein Abenteuer. Ein kleiner Ausflug. Ein Moment von Schönheit. Es war nur ein Schmetterling, Paula, nichts weiter. Genieß es.«
»Es war sehr schön mit dir, aber ich bin völlig verwirrt.«
»Das war das erste Mal, dass du mit einer Frau geschlafen hast?«
»Ja. Ich habe nie daran gedacht.«
»Nie? Wirklich nie?«
»Natürlich nicht.«
»Du bist ein Schäfchen, meine Schöne. Frauen sind doch schön.«
»Gieß mir einen Schnaps ein, bitte.«
»Dein Körper hat dich geführt, und du hast dich führen lassen. Und vielleicht wird es jetzt viel schöner, wenn du mit einem Mann schläfst.«
»Ich verstehe es aber nicht.«
Sie stand auf und kam auf mich zu. In diesem Moment war es mir unangenehm, und ich drehte meinen Kopf weg und schob sie zurück.
»Ach, Paula, du bist so abwehrend. Lass dich gehen, und sei nicht beständig auf der Hut. Was ist mit dir? Bist du so unsicher? Oder verletzt? Betrachte mich doch einfach als deine Freundin. Als eine Freundin, die dich liebt.«
»Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte ich, »ich habe noch viel zu tun.«
»Sehen wir uns wieder?«
»Ja. Natürlich. Warum nicht? Wir sehen uns doch regelmäßig.«
»Ich meine, nur wir zwei. Sehen wir uns?«
»Ich weiß nicht. Ich muss erst zu mir kommen.«
Die Haustür wurde aufgeschlossen. Sibylle ging zu ihrem Sessel zurück und setzte sich. Marco Pariani kam ins Zimmer, er freute sich, mich zu sehen, und küsste mich. Dann ging er zu seiner Frau und begrüßte sie zärtlich, und auch Sibylle war liebevoll zu ihm. Pariani setzte sich zu uns, goss sich einen Scotch ein und erkundigte sich, was mich hergeführt habe.
»Ich habe sie eingeladen«, sagte Sibylle, »ich hatte einen Pflaumenkuchen gebacken, und du wolltest erst nachts zurückkommen. Da dachte ich mir, ehe der Kuchen völlig durchnässt ist, lade ich Paula ein.«
»Eine gute Idee, so kommt sie uns einmal besuchen. Und du hast es ja gern, wenn dich deine Freundinnen besuchen.«
Er lächelte seine Frau dabei völlig unbefangen an, Sibylle nickte und goss ihm Kaffee ein, und mir schoss bei seinen Worten das Blut in den Kopf. Er bemerkte es und sah mich eindringlich an, dann nahm er sich Zucker und fragte nach Waldschmidt. Ich antwortete, aber er schien abwesend zu sein. Er erhob sich, trank die Tasse im Stehen aus und entschuldigte sich, er müsse noch eine Vorlesung vorbereiten. Ich sagte, auch ich hätte noch zu tun und müsse gehen, er
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