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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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allen anderen. Und das hast dudann ganz allein geschafft, gegen ihn und sein dummes Gerede.
6.
    Ende Juli begann ich Klavier zu lernen. Der Unterricht war ein Geburtstagsgeschenk von Waldschmidt, nachdem er mich wiederholt am Flügel im Wohnzimmer überrascht hatte, wie ich mit zwei Fingern versuchte, eine Melodie zustande zu bringen. Das große Instrument stammte noch von seiner ersten Frau, es war ein Erbstück, und sie wollte es nach der Scheidung abholen, hatte jedoch keine so geräumige Wohnung zugewiesen bekommen, in der sich ein Flügel aufstellen ließ. So war der schwarze Kasten in Waldschmidts Wohnung geblieben und stand seitdem ungenutzt herum, denn weder er noch seine spätere Frau konnten Klavier spielen.
    Der Flügel in Waldschmidts Wohnung hatte mich magisch angezogen, und es gab Tage, an denen ich eine halbe Stunde auf dem Klavierhocker saß und vor mich hin klimperte. Ich konnte nur mit einer Hand einfache Melodien spielen, aber meine kleinen Versuche blühten an diesem Instrument auf, der Flügel schien ihnen Kraft und Majestät zu geben, zum ersten Mal hatte ich Spaß an meinem stümperhaften Bemühen, und ich konnte den Tonfolgen und Harmonien auch zuhören, die ich hervorbrachte.
    Als Waldschmidt mir den Unterricht geschenkt hatte, war ich völlig überrascht und hatte es anfangs abgelehnt. In meinem Alter mit dem Klavierspiel zu beginnen schien mir nicht sinnvoll, aber es reizte mich doch, so dass ich schließlich eingewilligt hatte. Ich wollte mit dem Unterricht in den Semesterferien beginnen, um mich zumindest anfangs ganz darauf konzentrieren zu können.Waldschmidt war in diesen Wochen ohnehin an Berlin gebunden, wir konnten erst Ende August zusammen in den Urlaub fahren.
    Der Unterricht fand in unserem Haus statt, in Waldschmidts Villa. Frau Niebert kam in diesen Wochen jeden zweiten Tag für eine Stunde, und in jeder freien Minute, die ich nicht im Atelier an meinem weißen Bild saß, spielte ich die Übungsstücke.
    Ich hatte Marion Niebert durch eine Annonce gefunden, ich hatte mich für sie entschieden, weil sie in der Nähe wohnte, und eine ältere Frau erwartet, eine alte Jungfer, die mit ihrem Klavierspiel und ihren Zöglingen verheiratet war, doch Marion war nur zwei Jahre älter als ich, hatte ein kleines Kind zu versorgen und lebte mit einem Jazzer zusammen, der ihren kleinen Haushalt, wann immer er dort auftauchte, vollkommen durcheinanderbrachte. Wir verstanden uns sofort. Sie sagte mir gleich, dass ich viel zu spät mit dem Klavier beginne, ich würde nie über einen guten Dilettanten hinauskommen, und wenn ich mich damit zufriedengeben würde, wäre sie für das Unternehmen bereit, vorausgesetzt, ich würde von ihr nicht erwarten, mich bis zur Konzertreife zu führen. Ich erwiderte, ich wäre überglücklich, wenn aus mir eine gute Dilettantin werden könnte. Wenn ihr das gelänge, bekäme sie eine Prämie zusätzlich.
    »Dann wollen wir mal«, sagte sie, packte ein Notenbuch aus, klappte den Deckel des Flügels auf und suchte sich einen passenden Stuhl, den sie neben den Klavierhocker stellte.
    »Setz dich und fang an«, sagte sie. Sie duzte mich gleich, diese lockere Art gefiel mir.
    Sie unterrichtete auf außergewöhnliche Weise, und es war die richtige für mich. Wir begannen zu meiner Überraschung mit einem Klavierstück von Gershwin. Nachzwei Stunden spielte ich dieses kleine Stück bereits fehlerlos, viel zu getragen zwar und langsam, aber zweihändig. Nach den Übungsstunden lud ich sie zu einem Kaffee ein, sie erzählte, dass sie ihre Art des Unterrichtens allein entwickelt habe, um die anfängliche und verständliche Unlust ihrer kleinen Schüler abzubauen und ihnen bei den allerersten Übungen bereits etwas Spaß zu vermitteln.
    »Und es funktioniert«, sagte sie, »die Kinder machen mit. Sie sind begeistert, wenn sie nicht unentwegt langweilige Tonleitern üben müssen. Was sie lernen müssen, kann man ihnen auch anders beibringen, auf meine Weise. Und ich habe noch nie einen meiner Schüler verloren und bekomme immer neue hinzu. Ich muss nicht mehr an der Schule unterrichten, ich bin endlich mein eigener Herr.«
    »Und du wolltest nie selber auftreten? Ich meine, wolltest du nie selber Konzerte geben, Marion?«, fragte ich. »Hat dich das nie gereizt?«
    »Davon habe ich als Kind geträumt, als kleines Mädchen. Aber ich weiß inzwischen, was ich kann und was ich nie erreichen werde. Außerdem macht es mir sehr viel mehr Spaß, mit Kindern zu arbeiten. Und zwar an

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