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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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ständig kam, sich Filme ansah, die in anderen Kinos nicht liefen. ›Cooley High‹ zum Beispiel, oder ›La vie de Jésus‹,
     von deren Helden er sich angesprochen fühlte. Die hingen auch ziellos herum wie Berthold, neigten zu kleinen Betrügereien
     wie er, oder sie klauten, bretterten mit ihren Bikes durch die öden Käffer, in denen sie lebten, gefährdet, mit guten Chancen,
     im Knast zu landen. Filme, wie Berthold sie liebte, hatten meist wenig Handlung, es gabkeine Hoffnung, nur Herumhängen auf
     der Suche nach einem kleinen Kick. Wenn es hochkam, hatte einer ein Mädchen wie Marie, aber das beschwor dann die Katastrophe
     herauf.
    |84| Berthold bewunderte die drei Leute, eine Frau und zwei Männer, die das Kino führten, professionell, eigensinnig, aufwendig,
     wenn sie auch wenig Gewinn machten. Er fühlte sich zugehörig, ein bißchen wenigstens, hätte sich das jedoch niemals anmerken
     lassen, obwohl sie ihn freundschaftlich behandelten. In der Tageszeitung, die er gelegentlich las, gabes einen Filmkritiker,
     der schriebmanchmal über die Filme, die im »Werkstattkino« liefen. Aus diesen Rezensionen klaute sich Berthold eine Meinung,
     weil er seiner eigenen nicht traute. Nur er selber wußte, daß er nicht mal einen Hauptschulabschluß hatte. Er war immer kränklich
     gewesen als Kind, sie erzählten ihm, daß die Hebamme bei seiner Geburt gesagt habe, sie gebe ihm nur zwei Tage, länger schaffe
     er es nicht. Seine Mutter habe ihn inmitten von Wärmflaschen gebettet, ihn alle zwei Stunden gefüttert, wochenlang, sagten
     sie in einer Mischung von Respekt und Verachtung. Berthold hatte überlebt, seine Mutter verteidigte zäh dieses Leben, schüchterte
     später sogar Schulkinder ein, die Berthold verhauen wollten. |85| Zwei Beispiele hatte Berthold in Erinnerung, als seien sie gestern passiert, und jedesmal, wenn er sich daran erinnerte, klumpte
     sich die Zärtlichkeit für die Mutter und sein geheimer Stolz auf sie in seiner Kehle zusammen.
     
    Es war beim Schlittenfahren gewesen. Berthold, er mochte vier gewesen sein, und andere Kinder seines Alters rodelten einen
     kleinen Hügel, der völlig ungefährlich war, mit Gefühlen großen Stolzes hinab, immer wieder, Berthold konnte sich dieses herrliche
     Bergabsausen heute noch zurückrufen. Seine Mutter war in einen Bäckerladen gelaufen, zwei Straßen weiter, sie wollte für alle
     Kinder Brezn kaufen, so glücklich war auch sie über die Freude ihres Sohnes gewesen. Plötzlich kam ein Halbwüchsiger auf einem
     Pferd, er mochte von einem nahe gelegenen Bauernhof herübergeritten sein. Er sah die Kleinen in ihrem Eifer, vielleicht mißfiel
     ihm ihr Spaß, vielleicht war er auch nur ein Arschloch, jedenfalls ritt er auf die Kleinen zu, wenn sie den Hügel hinuntersausten,
     zwang sein Pferd in ihre Bahn, das |86| Pferd bäumte sich auf, die Kleinen schrien voller Angst, kippten von ihren Schlitten, standen schließlich zitternd und nach
     ihren Müttern schreiend am Fuß des Hügels. Bertholds Mutter kam gerannt, ließ die Tüte mit den Brezn fallen, riß den Jungen
     von seinem Pferd herunter und ohrfeigte ihn, links und rechts und immer wieder, bis er ebenso brüllte wie die Kleinen.
    »Mein Papa zeigt Sie an, Sie blöde Kuh, Sie dürfen mich nicht schlagen.«
    »Diese Ohrfeigen nimmt dir kein Pfarrer wieder ab.«
    Bertholds Mutter war so aufgebracht, daß es ihr völlig gleichgültig war, obder Kerl sie anzeigte. Inzwischen waren, angelockt
     von dem Gebrüll, noch andere Mütter zur Stelle, und sie gaben Bertholds Mutter recht, bedankten sich sogar bei ihr, daß sie
     auch ihre Kinder beschützt hatte. An diesem Abend, es war inzwischen dunkel geworden, ging Berthold an der Hand seiner Mutter
     heim wie durch ein goldenes Licht, er wußte damals nicht, daß es Glück war, was er empfand, Glück und Stolz, aber inzwischen
     war es ihm klar, und er rief sich die beiden Szenen |87| gerne zurück, wenn er sich wieder einmal benachteiligt fühlte vom Schicksal oder einer anderen Macht, die er gern dafür verantwortlich
     gemacht hätte, daß es für ihn so gut wie keine Chance gab, es zu etwas wirklich Bedeutendem zu bringen.
     
    Das zweite Mal, wo Bertholds Stolz auf seine Mutter sich in sein Gedächtnis unlöschbar eingegraben hatte, war sein erster
     Schultag gewesen. Vielleicht auch der zweite. Jedenfalls brachte ihn die Mutter am Morgen hin, denn der Weg war ziemlich weit,
     und die Mutter in ständiger Angst, daß Berthold etwas
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