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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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verstohlen, aber sie stand immer noch da, grinste ihn an. »Na, was ist – gehst du mit schwimmen?«
    Papke dachte, daß sie genauso betrunken war wie er selber, vielleicht auch bekifft, |92| ganz wie er es sich eben noch gewünscht hatte. Daher scheute er sich nicht länger, sie genauer anzusehen. Sie war jung, vielleicht
     achtzehn, neunzehn, sie hatte einen langen schmalen Hals, feste kleine Brüste, auf denen Strähnen ihres langen dunklen Haares
     lagen. Ihr Gesicht war nicht hübsch, dazu hatte sie eine allzu lange, kräftige Nase, der Mund war breit und voll, die Schneidezähne
     standen weit auseinander. Die Augen waren schön, tiefliegend, geheimnisvoll schienen sie Papke, doch da riß sie ihn wieder
     aus seinen Gedanken: »Was ist jetzt, kommst du mit – sonst gehe ich alleine.«
    Sie wandte sich um, stieg über die niedrige Metallbefestigung und war schon fast am Wasser, als Papke sie am Oberarm faßte
     und zurückzog.
    »Du bist doch verrückt, es ist viel zu kalt heut nacht. Und außerdem – was willst du in der Brühe? Ist doch nichts zum Schwimmen!«
     
    Die Nähe des nackten Körpers erregte ihn. Er drängte das Mädchen auf die Böschung, die an dieser Stelle nicht besonders hoch |93| und steil war, warf sich auf sie und begann hastig, seine Kleider zu öffnen. Für einen Moment lag das Mädchen still, es war,
     als horche sie auf irgend etwas, sie sah Papke an, als müsse sie tief über ihn nachdenken, und Papke wollte in sie eindringen,
     doch mit einer ungestümen Bewegung drängte sie ihn plötzlich von sich fort, stieß ihm ihr Knie heftig in den Unterleib, so
     daß Papke sich für einen Moment in heftigem Schmerz zusammenkrümmte. Er sah das Mädchen in dem schwarzorangenen Licht, das
     plötzlich mehr Schwärze als Orange zeigte, er sprang auf und wollte sie erneut an sich ziehen, er wollte sie haben, unbedingt,
     doch sie rannte ins Wasser, schrie kurz und leise auf und rannte weiter, auf die Mitte des Teiches zu, wo sie um sich zu schlagen
     begann, und Papke sah, daß sie nicht schwimmen konnte. Er ging zurück zu dem steinernen Hirsch, setzte sich auf den Platz,
     den er oft innehatte, und schaute zu, wie nach einigen heftigen Schlägen aufs Wasser alles still wurde. Papke überlegte noch
     kurz, ober die Kleider des Mädchens mitnehmen und verbrennen solle, dann ließ er |94| es sein und ging am Kanal entlang, nicht unten am Wasser, sondern oben an der Nördlichen Auffahrtsallee, wo ihm einige Autos
     begegneten und ihn zurückholten in die Banalität dieser Nacht und in die Max-Ernst-Straße, in deren Nummer 75 seine Schwiegermutter
     und seine Frau schliefen. Papke hätte beide genauso in den Kanal jagen können wie vorhin das Mädchen. Im Moment haßte er alle
     drei Frauen, weil sie ihm Scherereien machten.
     
    In der Max-Ernst-Straße 75 blieb er nur, weil er im Moment kein Geld hatte, eine Scheidung oder eine eigene Wohnung zu bezahlen.
     Berthold kam nämlich mit seinem Gehalt als stellvertretender Filialleiter nie aus, er besserte es gelegentlich auf, indem
     er illegale Aushilfskräfte nicht bezahlte, oder nur teilweise, und das Geld für sich behielt.
     
    Beschweren konnten sich die Leute ja nicht. Meistens sprachen sie kein Deutsch, und wenn, dann drohte Papke mit dem Sozialamt
     oder mit der Polizei, und sie |95| kuschten. Er tat das ohne alle Gewissensbisse. Diese Leute wurden schließlich vom Sozialamt erhalten, er arbeitete ohnehin
     für die mit, was mußten die doppelt abzocken. Nur manchmal durchfuhr es ihn mit einem scharfen Schmerz, daß seine Mutter dies
     nicht gutgeheißen hätte, daß er sie verriet. Vor allem das mit dem Mädchen – und wenn schon – Mutter war nicht mehr da, basta,
     er konnte sie nicht mehr anrufen, ihr kein Geschenk machen oder sie zu einem Tag bei ihm in München einladen. Wer hatte Mitleid
     mit ihm?
     
    Inzwischen war er vierunddreißig geworden – und es schien, als sei er im Moment ziemlich am Ende. Seltsam, er fühlte kaum
     noch etwas. Sogar seine Gedanken an die Mutter waren kaum noch schmerzlich – manchmal fühlte er nicht einmal mehr Selbstmitleid.
     Der Kampf seiner Mutter für ihn, seine bescheidene Ausbildung – er hatte die weiterführende Schule nie besucht   –, alles Vergangene hielt ihn klein und reduzierte sein Selbstvertrauen bis auf ein Minimum. Es machte ihn grausam gegen Menschen |96| , die noch schwächer waren als er. Das Mädchen. Warum hatte er sie ertrinken lassen? Drei, vier Schritte, und er wäre
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