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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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zustoßen könne. Diese immer bereite Unruhe war es wohl auch gewesen,
     die die Mutter veranlaßt hatte, nach etwa einer Stunde zurückzukehren zur Schule – die Mutter hatte es niemals ganz erklären
     können. Jedenfalls war sie zur Pause erschienen, in der Berthold im Kreis anderer Kinder sein Pausenbrot essen wollte. Ein
     großer Junge aus der Hauptschule nahm ihm sein Brot ab, das die Mutter in eine Tüte aus Pergamentpapier gepackt hatte. Der
     Junge warf das Brot auf |88| den Boden, blies in die Tüte und haute sie Berthold auf den Schädel, immer wieder. Berthold begriff nichts, spürte nur den
     dumpfen Schmerz, wußte, daß er gegen den Großen keine Chance hatte. In diesem Augenblick kam Bertholds Mutter dazu, riß den
     Jungen an den Haaren, so kräftig, daß ihre Fingernägel abbrachen, sie hielt ein Büschel Haar in den Händen, schüttelte den
     Jungen, schlug ihn, wohin sie traf. Auch dieser Junge brüllte, begann, sich gegen die Mutter, die kaum größer war als er,
     zu wehren. Berthold bekam Angst um die Mutter, versuchte, die Beine des Jungen zu umklammern, ihn zu Fall zu bringen. Ein
     Lehrer kam, wies die Mutter zurecht.
    »Was fällt Ihnen ein, Sie dürfen keinen Schüler schlagen! Verlassen Sie sofort den Pausenhof!«
    »Und Sie? Haben Sie vielleicht zufällig Aufsicht? Wieso sehen Sie nicht, daß hier einer mein Kind fast totschlägt?«
    »Nun übertreiben Sie mal nicht.«
    Der Lehrer wurde doch etwas kleinlaut, als die anderen Kinder bestätigten, daß der Große Berthold immer wieder mitten auf |89| den Kopf geschlagen hatte. Er bat jetzt Bertholds Mutter höflich, den Pausenhof zu verlassen. Er versprach, ein Auge auf Berthold
     zu haben und dem Großen einen Verweis zu geben.
     
    Das mit der Hepatitis hatte auch Bertholds Mutter nicht verhindern können. Dreizehn war Berthold gewesen, monatelang hatte
     die Krankheit ihn müde gemacht, gleichgültig gegen die Schule, gegen jede mögliche Zukunft.
    Trotzdem hatte seine Mutter es geschafft, ihn im Supermarkt des Ortes unterzubringen, sogar einen Lehrvertrag hatte er bekommen.
     Ihr zuliebe hatte er sich dort abgerackert, sich von den älteren Angestellten ausnutzen, zum Deppen machen lassen. In der
     Berufsschule war er in seinen Leistungen weit über dem Durchschnitt, er bestand seine Prüfung zum Einzelhandelskaufmann sogar
     mit Sehr gut. Das war für seine Mutter ein guter Tag gewesen, als er mit dieser Note nach Hause kam. Sie hatte gekocht wie
     für eine Hochzeit, alle Leute eingeladen, mit denen sie verwandt oder |90| bekannt waren. Viele waren es nicht gewesen, aber Berthold unterstützte das Hochgefühl seiner Mutter, indem er beim Festessen
     berichtete, daß er nun auch noch die Berufsoberschule anvisiere.
     
    Wenige Wochen später war die Mutter tot, Angina pectoris hieß es, doch Berthold vermutete, daß ihr Kampf für ihn sie früh
     aufgebraucht hatte. Diese Gedanken machten ihn wütend und wehleidig zugleich. Sah er in den Fußgängerzonen elegante Damen
     in die Cafés und Kaufhäuser schlendern, hätte er heulen mögen, weil seine Mutter sich das niemals hatte leisten können. Sie
     war Putzfrau gewesen wie die Mutter des Bundeskanzlers Schröder, aber anders als diesem war es Berthold nie gelungen, die
     Mutter dafür zu entschädigen, daß sie sich sein Leben lang für ihn abgerackert hatte.
     
    Berthold Papke kämpfte mit den Tränen, als er aus dem Grünwalder Park herauskam, in dem ihm keine einzige Frau begegnet war,
     wieso auch, es war schließlich drei Uhr am Morgen, und wer rannte da schon außer |91| ihm im Park herum. Statt des elastischen Waldbodens betrat Berthold jetzt den Asphalt der Südlichen Auffahrtsallee, verfluchte
     seine Träume, flennte fast vor Selbstmitleid, und dann sah er das Mädchen. Sie war schlank, sehr groß und legte ihre Kleider
     am Hubertusbrunnen ab, genau da, wo man den schönsten Ausblick auf das Nymphenburger Schloß hatte, überhaupt das wahnsinnigste
     Bild, das man in einer Stadt sehen konnte. Manchmal saß Berthold lange an dem Brunnen, einfach so, ließ die Leute an sich
     vorbeigehen, sah auf die Schwäne und immer wieder hinunter zum Schloß, das ihn wie eine Fata Morgana in der Ferne zu locken
     schien. Doch heute traute Papke seinen Augen nicht. Unter dem schwarzorangenen Himmel stand das Mädchen wie eine helle Statue
     da, wie von Modigliani oder von einem der anderen Typen, die so was modellieren konnten, Papke faßte es immer noch nicht.
     Er kniff sich
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