Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
Vom Netzwerk:
mit ihrer Stieftochter gemeinsam. Sosehr
     sie sich im allgemeinen beschimpfen, wenn sie uns übel mitspielen können, sind sie sich einig. Sie schreiben zwar kein gutes
     Deutsch, aber zum Denunzieren reicht es. Die anonymen Briefe waren übrigens mit S S-Runen gezeichnet.«
    »Da müßt ihr aber wirklich zur Polizei gehen. Diese Prinz muß ja im Dritten Reich schon halberwachsen gewesen sein. Der Geist
     ist in ihr offenbar noch sehr lebendig.«
    »Kommt«, sagte Isabel, nahm ihr Glas und ging zur Treppe. Sie sprach absichtlich laut. »Diese Tante will uns den wunderbaren
     Sommerabend verderben. Das wird |123| ihr aber nicht gelingen. Leute, wir machen es uns drinnen gemütlich. Solange diese Prinz im Garten ist, stinkt es mir zu sehr.«
    »Die ist schwerhörig«, sagte Bonnie bedauernd, »sie hört nicht, was man ihr an den Kopf wirft.«
    »Vielleicht hört es ja die reizende Stieftochter, die teilt es ihr dann vielleicht mit.«
    »Davon kannst du ausgehen«, sagte Matthias, »die belegt ihre Stiefmutter mit Ausdrücken, die möchte ich lieber nicht wiedergeben.«
    »Na, die beiden wissen wenigstens, was sie aneinander haben.«

10
    Ingrid Prinz-Papke saß im Wohnzimmer ihrer Stiefmutter über Papieren, die sie für den Leichenbestatter ausfüllen mußte. Mißmutig
     schobsie den ganzen Packen von sich weg. Sie schaute sich um. Die grün-blau gemusterte Tapete, das Klavier, |124| die unförmigen kalten Ledersessel, der unbequeme, viel zu niedrige Marmortisch mit den Löwentatzen, das Zinngeschirr, die
     Kredenz mit den Pokalen aus Kristall: diesen ganzen alten Mist würde sie rauswerfen, alles in einen Container, auf Nimmerwiedersehen.
    Für einen Moment überkam Ingrid Prinz-Papke ein Gefühl von Freiheit, Erleichterung, Freude. Ihre Stiefmutter konnte sie und
     Niki nicht mehr bei der Polizei verraten. Es war ein Schock für Ingrid gewesen, als sie Niki in das Babykörbchen gelegt hatte
     und plötzlich hörte, wie ein Schlüssel in das Türschloß gesteckt wurde. Wer konnte das sein? Berthold? Und wenn schon. Ihm
     konnte sie jede Lüge auftischen, er hörte doch nicht zu. Nein, es war ihre Stiefmutter gewesen, die den Tag bei ihrer Schwester
     hatte verbringen wollen und nun viel zu früh heimkam, wahrscheinlich hatte Tante Ellen wieder ihre Migräne bekommen.
    In diesem Moment fing Niki an zu brüllen, natürlich, er hatte Hunger. Ingrid rannte in die Küche, um ihm ein Fläschchen |125| zu machen, sie hatte sich in der Schwangerschaft reichlich mit Babynahrung eingedeckt.
    »Was ist das denn für ein Kind, das da schreit?« fragte die Stiefmutter und kam gleich in die Küche gerannt. Sie trug ihre
     Schirmmütze, den roten Anorak, und ihr Gesicht war hellwach von Mißtrauen und Neugier. Ingrid schüttelte das Milchpulver mit
     dem heißen Wasser, hielt das Fläschchen an ihre Wange, ging an der Stiefmutter vorüber aus der Küche, eilte die Treppe hinauf
     zu Niki. Über die Schulter rief sie der Stiefmutter zu, daß es Niki sei, der Sohn einer Freundin, sie habe ihn für ein paar
     Tage in ihrer Obhut.
    Niki lag brüllend in seinem Korb, Ingrid nahm ihn hoch, schobihm den Sauger in den Mund, den er zunächst wieder rausstieß,
     zu Ingrids großer Erleichterung aber dann doch reinzog, um mit großer Hast und sichtlichem Behagen seine Flasche leer zu trinken.
     Er brüllte dann nochmals, und Ingrid ließ ihn aufstoßen, registrierte den Babyrülpser und das schiefe Grinsen mit mütterlichem
     Triumph. Dann wickelte sie |126| Niki in eine Pampers, und unter ihren behutsamen zärtlichen Hantierungen schlief er schon auf dem Wickeltisch ein. Ingrid
     hobihn hoch, atmete den Duft des flaumigen Köpfchens tief und zufrieden ein.
    Da stand die Stiefmutter in der Tür. Ihre Miene war hoch dramatisch, so anmaßend und drohend, daß sich Ingrids Nackenhaare
     aufstellten.
    »Ich will wissen, was das für ein Kind ist! Du hast doch gar keine Freundin, die schwanger war. Das wüßte ich doch!«
    »Gar nichts weißt du.« Ingrid versuchte das so ruhig und verächtlich wie möglich zu sagen. Es durchflutete sie sogar mit einer
     heißen Genugtuung, für Niki die Stiefmutter zu belügen, Berthold, den Freunden, den Verwandten, ihrer gesamten Welt wollte
     sie in Zukunft ein Märchen ums andere auftischen, um ihnen Nikis Anwesenheit begreiflich zu machen. Und sobald es möglich
     war, würde Ingrid das Haus verkaufen, mit Niki weggehen in ein Land, wo niemand sie kannte, wo Niki einfach Ingrids Sohn war
     und sie seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher