Frau Prinz pfeift nicht mehr
noch lange zu leben. Mit meinem kleinen Niki.«
»Dein Niki!« Brunhilde Prinz lachte wiehernd. »Dein Niki. Ein Wort von mir, und du landest im Gefängnis.« Brunhilde Prinz
trank genießerisch den Tom Collins. »Das muß ich dir lassen, den Tom Collins mixt du wunderbar, so krieg ich ihn einfach nicht
hin.«
Ingrid ging nahe zu ihrer Stiefmutter, ganz nahe, so daß Brunhilde Prinz etwas wegrückte.
»Mutter«, sagte Ingrid leise, »Mutter, dieses Kind ist mein Sohn. Obdu das begreifst oder nicht, ist mir vollkommen egal.
Ich kaufe dir Niki ab. Du kriegst, was du immer wolltest, das Haus. Ich überschreibe es dir, und du hältst dein Leben lang
den Mund. Wenn nicht, bringe ich dich um. Ich habdafür noch mehr Gründe, das weißt du ganz genau. Also – entscheide dich hier
und jetzt.«
Brunhilde setzte das leere Glas ab. Fassungslos |132| sah sie Ingrid an. »Du überschreibst mir wirklich das Haus?«
Ingrid nickte. »Sagte ich doch. Du weißt, daß ich nicht schwätze. Also, was ist, bist du einverstanden?«
Das Gesicht der Stiefmutter wurde hell, die Stimme buttrig, gierig: »Aber dann brauche ich auch noch Geld, Ingrid, ich muß
das Haus ja auch unterhalten. Und ich verdiene ja nichts.«
Ingrid zog sich einen Stuhl heran, griff nach einem Block und dem Stift, der daneben lag, und begann zu schreiben. »Wir gehen
zum Notar, sobald ich einen Termin kriege. Dort legen wir alles fest. Du sollst dich nicht zu beklagen haben.«
Ingrid begann, eine Traueranzeige zu entwerfen. Was sollte sie nur schreiben? Plötzlich und unerwartet? Wäre ganz schön zynisch.
Oder einfach nur »Brunhilde Prinz« und dann die Geburtsdaten und den Todestag, Schluß, Ende, Amen. Man sah das oft in den
Zeitungen. Darunter könnte dann stehen: Im Namen der Familie. Ingrid Prinz-Papke. Fertig.
|133| Ingrid konnte es immer noch nicht fassen! Richtig schön tot war ihre Stiefmutter. Ihr Ableben war zwar mit Gerichtsmedizin
und lästigen Fragen verbunden, aber davon wurde sie Gott sei Dank nicht wieder lebendig. Sie konnte Ingrid weder Niki streitig
machen, noch konnte sie ihr das Haus und einen Teil von Mucks Nachlaß abgaunern. Ingrid mußte von ihr nichts mehr befürchten,
gar nichts. Jetzt hatte sie einen sicheren Platz für Niki, für ihn würde sie dieses Zimmer einrichten. Hellblaue Wände, die
Decke weiß, Wolkenstores mit kleinen Glühlämpchen sollten über seinem weißen Bett eine märchenhafte Stimmung verbreiten. Alles
sollte Niki haben, alles, was Ingrid besaß. Er sollte nicht in einem engen, demütigenden Geizklima aufwachsen wie sie selber.
Niemals würde sie mit dem Taschengeld knausern, niemals zur Strafe auch nur einen Pfennig abziehen. Wann immer er es wollte,
würde Niki ein Eis bekommen, später Geld fürs Kino, fürs Schwimmbad, für die Eisenbahn. Wenn Niki Ski fahren oder snowboarden
wollte – sollte er, und surfen, segeln – alles. Ingrid |134| sah ein helles, lebendiges Leben für sich aufschimmern, ein neues, fröhliches Dasein, dessen Mittelpunkt sie und Niki waren.
Nur Markenklamotten würde Niki tragen, alles, was die Kinder der Reichen hatten. Und die beste Schule, natürlich, Steiner,
Montessori. Ingrid wußte aus den Erzählungen ihrer Kolleginnen einiges über diese Schulformen, sie wußte, daß Elternmitarbeit
hier gewünscht, ja gefordert wurde. Ingrids Tatendrang würde ihrem Sohn eine gute Stellung innerhalbder Schule verschaffen.
Alles für Niki. Ingrid war so verliebt in den Kleinen, daß sie nur noch ihn sah, immer stärker die Realität verdrängte, die
ihr einreden wollte, sie habe das Kind gestohlen. Ein Unsinn war das, schließlich war sie schwanger gewesen, die aufregendste
Zeit ihres Daseins hatte sie als werdende Mutter verbracht. Ingrid ließ sich immer wieder in ihre Erinnerungen daran zurückgleiten,
so daß die acht Monate ihrer Schwangerschaft wieder lebendig vor ihr erschienen. Im dritten Monat hatte sie bei Berthold auf
die Hochzeit gedrängt, doch er war ablehnend gewesen. Er wolle |135| kein Kind, habe kein Kind geplant, schließlich war er richtig zornig geworden: »Du kannst dich nicht einfach zu meiner Freundin
ernennen und dann noch einen Vater aus mir machen.«
O doch. Ingrid konnte. Sie fuhr nach Bad Tölz, zur einzigen Tante Bertholds, Seffi, einer Schwester seiner Mutter. Ingrid
brachte Blumen und Konfekt, lud Tante Seffi zum Essen in ein gutbürgerliches Lokal ein, wo man derart verstellt bayerisch
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