Frau Prinz pfeift nicht mehr
dachte Ingrid kalt, ich bringe sie um!
Ingrid fragte sich auch, obes sich gelohnt hatte, Berthold einzufangen. Er besuchte sie, weil er es wohl für passend hielt,
er drückte ihr Blumen und Konfekt aus seinem Supermarkt in die Hände, und dann war er froh, wenn er wieder loskam. Ingrid
fand Berthold inzwischen ebenso langweilig wie sich selber, und sie begann langsam, aber ohne sich dagegen zu wehren, ihn
dafür zu hassen, daß er sie nicht erlöst hatte |149| von der ewigen Zurücksetzung in der Steuerkanzlei, wo sie die Einnahmen und Ausgaben der dusseligen Mandanten addieren mußte
und hinterherrennen, wenn wieder nicht alles vollständig abgegeben war. Berthold erlöste sie auch nicht vom abendlichen müden
Hinsinken vor der Glotze, schließlich mußte Ingrid sich um die Wäsche kümmern, ums Kochen und um die Putzerei. Die Stiefmutter
nahm ihr nichts davon ab. Es gab kein Thema, über das Ingrid mit Berthold hätte reden können, nicht mal jammern über das teure
Leben konnte sie, denn er brachte so ziemlich alles aus dem Supermarkt mit, was sie brauchten. Trotzdem langte das Geld nicht,
das Haus verschlang viel für die Instandhaltung, den Außenanstrich, ein neues Dach. Und das Erbe von Muck würde Ingrid nicht
angreifen, niemals. Urlaubmachen konnten sie höchstens in der Rhön, in einem kleinen, unkomfortablen Haus, das Emilie Koch
von ihren Eltern geerbt hatte, in dem Berthold und Ingrid sich noch mehr miteinander langweilten als daheim. Ingrid wurde
schließlich richtig aggressiv, weil |150| Berthold ihr nicht beim Anschüren des Ofens, beim Wasserholen oder beim Abspülen half.
Ingrid wünschte sich ein anderes Leben, ein ganz anderes. Sie hätte es niemals zugegeben, auch heute nicht, wo sie tabula
rasa machte mit ihrem Leben, auch heute hätte sie nicht zugegeben, daß sie sich ein Leben wünschte, wie es die neuen Nachbarn
lebten, diese Moldens, die zwei teure Autos fuhren, ständig verreisten, Ingrid erfuhr es über die Tinius oder die Schierl,
daß sie oft in die USA reisten, im Sommer nach Sardinien flogen und und und. Die Moldens hatten häufig Gäste, und sie gingen
ständig aus, in Abendkleid und Smoking, aufs Filmfest, zum Neujahrsempfang, überallhin, wo die Papkes niemals hinkommen würden.
Ingrid haßte eigentlich nur die Molden, ihren Mann nicht, den hatte sie früher sogar sehr gemocht. Ingrid dachte nicht gern
an die Zeit, als Matthias Molden noch allein im Nachbarhaus gelebt hatte. Er stellte |151| sich, wohlerzogen wie er war, nach seinem Einzug bei Familie Prinz vor. Damals, vor ungefähr sechs Jahren, war Ingrid ja auch
noch nicht verheiratet gewesen. Sie war gerade aus dem Büro gekommen, als Molden, Blumen in der Hand, bei ihnen klingelte.
Er sei der neue Nachbar, wolle sich gerne vorstellen. Er mochte wenig älter als Ingrid sein, war höflich, wirkte aber teilnehmend
und herzlich. Ingrid hätte ihm am liebsten sofort ihr Leben erzählt. Aber da war die Stiefmutter gekommen, hatte den Gast
hereingeführt, die Unterhaltung wie immer an sich gerissen. Doch Ingrid war an diesem Abend so vergnügt wie lange nicht gewesen.
Die früheren Nachbarn hatten angedeutet, daß Molden keine Familie, aber wohl eine zerbrochene Ehe hinter sich habe. Ingrid
hörte das sehr gerne. Hier gab es jemanden zu betreuen, zu bedauern, jemanden, der vielleicht noch weniger glücklich war als
sie selber.
Morgens ging er sehr früh aus dem Haus, abends kam er spät zurück. Ingrid paßte ihn möglichst oft ab, sah, wie er mit seinem
in sich gekehrten, melancholischen Gesicht |152| dem Auto entstieg, die Tür aufschloß und ins Haus ging.
»Der würde dir wohl gefallen«, sagte die Stiefmutter eines Abends, und Ingrid erschrak, denn die Stiefmutter war unbemerkt
dicht hinter Ingrid getreten, und ihre Anspielung traf Ingrid tief, sie schämte sich, daß die Stiefmutter ihre Gedanken erriet.
»Der würde zu dir passen, das ist ein Heilpraktiker mit einem guten Auskommen, zwar nicht Akademiker wie dein Vater, aber
einen Akademiker kann auch nicht jede Frau verlangen«, fuhr die Stiefmutter fort und tat so, als sähe sie nicht Ingrids wütendes,
peinlich berührtes Gesicht.
Und doch. Ingrid gewann Lust am Hoffen. Sie suchte sich Kochrezepte aus für Singles, brachte dem neuen Nachbarn appetitliche
Snacks, lud ihn, unterstützt von der Stiefmutter, zum Samstagfrühstück ein, zum abendlichen Grillen. Ingrid schaffte sich
neuen Lidschatten
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