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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Scheib
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anvertraut wurde, war mehr als die kindliche
     Freude am Puppenspielen. Ehe Muck auf der Welt war, hatte Ingrid sich endlos allein gefühlt, stundenlang vor dem Haus auf
     dem Gehsteig gehockt und gewartet, daß der Vater heimkam aus einem Büro der großen Firma Siemens. Gingen Nachbarn vorbei,
     versuchten sie, Ingrid zu trösten, doch Ingrid schienen der Mund, die Augen und Ohren verriegelt, niemand konnte sie erreichen.
     Ingrid wollte und konnte sich niemandem mitteilen. Ein dicker |32| Klumpen ballte sich in ihrer Kehle zusammen, tat stechend weh, wie die Tränen, die sich hinter den Augen sammelten und schmerzten,
     weil sie nicht herausbrechen konnten. Am schlimmsten war es, wenn die Schierl kam. »Ingrid, armes Kind, du dauerst mich, mit
     dieser Stiefmutter«–   oder Frau Tinius, die schon von weitem rief »Ingridchen, Liebchen, kümmert sich deine Stiefmutter denn gar nicht um dich«.
     Sie legten Ingrid Schokolade in den Schoß, Frau Tinius einmal sogar eine richtige Käthe-Kruse-Puppe. Ingrid rührte nichts
     davon an, schließlich holte die Stiefmutter die Sachen ins Haus.
     
    Natürlich wußte Ingrid bald, daß im Elternhaus ein Kind erwartet wurde. Aber sie hatte sich nicht vorstellen können, wie das
     war, einen Bruder zu bekommen, so etwas konnte man sich nicht vorstellen. Ingrid freute sich nicht auf den Bruder, sie wollte
     nur, daß ihre Stiefmutter sich nicht länger unförmig durchs Haus wälzte, wehleidig und übel gelaunt, Ingrid und der Vater
     konnten ihr nichts recht machen. »Du bist |33| nicht die erste Frau auf der Welt, die ein Kind kriegt«, sagte der Vater, und damit heizte er die schlechte Laune der Stiefmutter
     noch an. Sie schimpfte, daß es auch sein Kind sei, das ihr auf dem Ischiasnerv liege, und er solle gefälligst Rücksicht nehmen,
     das habe sie sich verdient als werdende Mutter.
     
    Als sie dann aus der Klinik kam, das neue Kind in sein Körbchen im Zimmer der Eltern gelegt wurde, berichtete sie empört,
     daß ihr Sohn von einer Kinderschwester Schreihals genannt worden sei. Sie habe zwar scheinheilig »kleiner Schreihals« gesagt,
     aber es sei doch unerhört von der Person. Der kleine Nepomuk, ein zarter Junge mit Neurodermitis, schrie tatsächlich ausdauernd,
     Tag und Nacht, er juckte und schuppte sich durch sein Säuglingsleben, so daß sich das prinzliche Anwesen bald in ein Tollhaus
     verwandelte. Beide Eltern, ihres Schlafes beraubt, gifteten sich nur noch an, einer forderte den anderen auf, Nepomuk nächtens
     durchs Haus zu tragen und in den Schlaf zu singen. Der Vater rief alle guten |34| Geister an, ihm doch zu erklären, wieso er noch einmal habe heiraten müssen, und dann auch noch so eine greisliche Xanthippe,
     die nicht einmal mit einem Säugling Frieden halten könne. Bald kam zwischen dem Ehepaar keine Einigung mehr zustande. Nepomuk
     wurde mit seinem Körbchen aus dem Elternschlafzimmer verbannt und ins hinterste Eck der Wohnküche geschoben. Da konnte er
     schreien, soviel er aus sich herausbrachte, die Eltern hörten es nicht.
     
    Ingrid, tagsüber Opfer der unausgeschlafenen Stiefmutter, tat alles, ihr nicht unter die Augen zu kommen. »Rühr ihn nur ja
     nicht an!« schrie die Stiefmutter, wenn Ingrid in die Nähe des Bruders kam. Also ging Ingrid dem Körbchen und seinem brüllenden
     Inhalt aus dem Weg. Als der Säugling in der nächsten Nacht wieder zeternd brüllte, wovon sie wach wurde, weil ihr Zimmer genau
     über der Küche lag, schlich sie doch hin und erschrak. Wie ein Tiefkühlputer lag der Bruder in seinem Korb, er hatte sich
     aus sämtlichen Tüchern, Decken und Hemdchen |35| herausgebrüllt, lag nackt und erledigt am hölzernen Gestäbe, sein zahnloser Kiefer war schier ausgerenkt vom Brüllen, sein
     Kopf glich einem nackten Schädel. War der tot? Quatsch – dann könnte der ja nicht brüllen. Vorsichtig befühlte Ingrid die
     ausgekühlten Füße, Hühnerbeinen ähnlich. Dann sah sie, daß unter den dürren Rippen das Herz schlug, rasch, regelmäßig. Der
     Atem rasselte ein wenig.
    Ingrid holte ihre Wärmflasche, ließ im Bad heißes Wasser reinlaufen, deckte den Bruder zu mit allem, was sie fand, und obenauf
     legte sie die Wärmflasche. Dann begann sie, den Wagen rhythmisch hin- und herzuschieben, immer hin und her, dazu sang sie
     »Schlafe, mein Prinzchen, es ruhn Schäfchen und Vögelein nun«. Was sonst hätte sie singen sollen? Es funktionierte, Nepomuk
     schlief ein, und sei es aus Erschöpfung. Ingrid schobihn

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