Frau Prinz pfeift nicht mehr
hemmungslos ihren Sozialneid ausleben. Richard
Prinz, ein nüchtern denkender Diplomingenieur, verbat sich an einem weißblauen Frühlingssonntag, an dem er sich einfach seines
Lebens hatte freuen wollen, endlich Brunhildes ständiges Gemäre, wie er wörtlich sagte. Wenn sie versäumt habe, reich einzuheiraten,
sei das nicht seine Schuld, er sehne sich nach den Zeiten mit seiner ersten Frau Dina. Sie habe sich selber was gegönnt und
allen anderen auch, und damit sei das Thema Geld erledigt gewesen. Kunststück, schrie Brunhilde, Kunststück, sie hat eigenes
Geld von ihrer Mutter gehabt, sie konnte sich alles leisten. Richard Prinz schrie zurück, daß Brunhilde sich nicht nur die
falsche Mutter, sondern auch den falschen Mann ausgesucht habe, denn eines könne sie jetzt schon wissen – das Haus gehöre
der Familie Prinz, darin stecke ein großer Teil des Vermögens von Dina, daher gehöre es vor allem Ingrid. Muck bekomme alles,
was an Aktien und sonstigem Vermögen da sei, sie, Brunhilde, |41| bekomme höchstens Wohnrecht, und das auch nur, wenn Ingrid damit einverstanden sei. Er bedauere nichts so sehr wie seine zweite
Heirat. Ein so neidisches, übellauniges Weibwie Brunhilde habe der Teufel gesehen.
Herr Prinz war offensichtlich hellsichtig gewesen. An einem Montag, frühsommerlich schön, machte Herr Prinz seinen abendlichen
Gang um den Kanal, er freute sich seufzend an den Enten und Schwänen, die sorglos ihr Dasein durchschwammen. Er selber mußte
immer sein früher so geliebtes Haus verlassen, wollte er seiner Frau entkommen. Herr Prinz hatte sie viel zu lange krakeelen
lassen, immerhin gabes Ingrid und Muck, doch inzwischen glaubte er sicher zu sein, sie würden ihrer Mutter nicht nachweinen.
Gleich morgen wollte er zu seinem Freund und Anwalt gehen, sein Testament machen und sich über eine mögliche Scheidung beraten
lassen. Zwölf Jahre lang hatte Herr Prinz Frau Prinz an seiner Seite, heute war er sich sicher, daß es zwölf Jahre zuviel
gewesen waren.
|42| Am Mittwoch änderte sich das Wetter, schon in der Nacht zum Donnerstag hörte man starken Regen gegen die Dachrinne trommeln,
der Wind fegte bedrohlich ums Haus. Trotzdem verschlief Frau Prinz, deren erklärte Aufgabe es seit Jahren war, Mann und Kinder
zu wecken, die sich eines gesunden Schlafs erfreuten, während Frau Prinz darüber lamentierte, daß sie eigentlich niemals schlief
und froh war, wenn sie am Morgen aufstehen durfte. Doch an diesem Donnerstag hörte sie weder Regen noch Wind, die gesamte
Familie Prinz schlief fest bis ungefähr acht, als Herr Prinz aus dem Bett hochschreckte. Begleitet vom tosenden Redeschwall
seiner Frau, die sich nicht zu lassen wußte, schwor, daß sie noch um halbsieben hellwach gewesen war, sprang Herr Prinz in
seinen Anzug, denn ihm ging Pünktlichkeit über alles, er rannte als erster die Treppe hinunter, glitt auf der zweiten Stufe
aus und erwachte nach 24 Stunden in einem Bett des Schwabinger Krankenhauses aus dem Koma. Er schwor mit schwacher Stimme, daß die zweitoberste Stufe
der Treppe regelrecht glitschig gewesen sei. Brunhilde |43| Prinz zitierte sofort die Putzfrau an sein Bett. Frau Koch, die mittwochs und freitags im Hause Prinz putzte, geriet in Panik,
zitterte und beteuerte, sie habe die Treppe gewachst wie immer, wie schon bei der ersten Frau Prinz. Noch nie sei etwas passiert.
Brunhilde Prinz tröstete die Frau. Sie habe sicher nicht bewußt vergessen, die Schmierseife von der zweiten Stufe zu entfernen,
sie sei ja nicht mehr die Jüngste, so etwas könne doch jedem mal passieren. Fast irre vor Angst und Empörung rannte die Zugeherin
aus dem Krankenzimmer, sie schaffte es noch in den ersten Stock, bekam kurz vor der Notaufnahme eine Herzattacke, die sie
nur dank der sofortigen ärztlichen Hilfe überstand.
Herr Prinz erlag noch im Krankenhaus einer Gehirnembolie, und als die Todesanzeige in der Zeitung stand, meldete sich sein
Freund, der Anwalt, der ein fast noch druckfrisches Testament präsentierte, datiert einen Tag vor dem Treppensturz. Erben
des Hauses Max-Ernst-Straße und des sonstigen Vermögens seien allein die Kinder des Erblassers. Frau Brunhilde Prinz |44| habe lediglich Wohnrecht und ein Taschengeld auf Lebenszeit.
Am Morgen der Beerdigung holte Frau Prinz drei Sträuße rote Rosen aus der Gärtnerei. Sie drückte je einen Strauß Ingrid und
Muck in die Hände.
»Hier. Die Rosen waren sehr teuer. Und morgen
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