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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Schlüssel ins rostige Schloss und stößt einen kreischenden Türflügel nach innen. Er putzt seine Pantoffeln an einer Matte ab, betritt die Kirche und tunkt zwei Finger in die Weihwasserschale. Ächzend beugt er das Knie in Richtung einer mit Plastiknelken geschmückten Madonna und schlägt das Kreuz. Erst danach bittet er die anderen herein, rückt mit Grandezza einen Tisch zurecht und eröffnet seine Stempelstation.
    Radpilger John drängelt nach vorn, zückt seinen Pilgerpass und knallt ihn geradezu auf den Tisch. Der credencial del peregrino ist das unverzichtbare Beweisdokument für die zurückgelegten Kilometer. Zu Fuß muss man zumindest die letzten hundert Kilometer bis Santiago zurücklegen, auf dem Fahrrad zweihundert, um die Compostela, die Pilgerurkunde, samt Sündenerlass zu erhalten. John will vor allem möglichst viele Stempel, um die tägliche Kilometerleistung exakt nachzuhalten und statistisch auszuwerten.
    Señor Fadrago nimmt hinter dem Tisch Platz und hat weitere Fragen an John, der sich erzürnt nach Nelly umschaut.
    »Lassen Sie sich Zeit mit der Übersetzung«, zischt Frau Schick ihr zu, »der junge Mann kann von Herrn Fadrago noch eine Menge lernen.«
    Herberger nickt und lässt sich entspannt in eine Kirchenbank sinken. »Fadragos Lektionen sind immer ein Genuss. Zumindest für die Zuschauer.«
    »Ich finde, er übertreibt«, flüstert Nelly und übersetzt einen Monolog Fadragos über Gebete und Radpannen. Zu Radpannen hat Herr Fadrago einiges zu sagen. Unter anderem empfiehlt er John einen täglichen Blick auf eine Plakette des heiligen Christophorus. Christophorus am Morgen befreie alle Reisenden von Sorgen. Er habe da eine schöne Auswahl von Christophorus-Plaketten, Lesezeichen und Bildchen zu günstigen Preisen. Und obwohl John und Pedro sich nicht handelseinig werden, erhält der Engländer schließlich seinen Stempel – ein Bild der Kirche, das vier Stempelfelder einnimmt – und eine zittrige Unterschrift von Señor Fadrago samt Datum und Uhrzeit.
    Mit einem knappen » Adiós!« entreißt John dem alten Mann den Pass und eilt im nächsten Moment bereits durch die Tür.
    » Hasta pronto!«, ruft der Greis ihm hinterher.
    Frau Schick staunt. Bis bald? Wohl kaum. Sie schlendert durch die kleine, eher wunderliche als wunderbare Kirche, die einen schwindelerregenden Mix von Baustilen in sich vereint. Darüber hinaus beherbergt sie ein Sammelsurium aus religiösem Kitsch und Kuriositäten.
    »Guck mal«, empfiehlt Paolo der Gruppe und zeigt auf ein Memento Mori in Form eines barocken Totenschädels aus marzipanfarbenem Wachs, an dem lebensecht geformte Maden knabbern.
    » Media vita in morte sumus« ist in goldenen Lettern auf die Wachsstirn tätowiert.
    »Mitten im Leben sind wir von Tod umgeben«, übersetzt Ernst-Theodor feierlich.
    »Elende Schlamperei!«, entfährt es dem stillen Hermann.
    »Wie bitte?«, fragt der verdutzte Ernst-Theodor.
    »Die Gravur«, sagt Hermann.
    Nelly hebt erstaunt die Brauen.
    Frau Schick muss grinsen. Elende Schlamperei trifft die Sache mit dem Sterben doch auch ganz gut. Es wäre weiß Gott schöner, wenn das Universum so eingerichtet wäre, dass man mit dem ewigen Leben im Paradies anfangen könnte, statt zunächst das irdische Jammertal zu durchschreiten – immer der Grube entgegen. Na ja, immer nur Garten Eden wäre sicher auch elend langweilig. Was sie dann alles verpasst hätte!
    Theklas Taufspruch für den kleinen Johannes schießt ihr unvermittelt durch den Kopf: Kinder sind die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Nein, der ging ein bisschen anders. Doch egal, das mit der Sehnsucht des Lebens nach Leben leuchtet ihr immer mehr ein. Sonst hätte sie die Flucht damals doch niemals durchgestanden.
    Señor Fadrago gesellt sich zu ihr und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf die Goldmadonna mit den Plastiknelken.
    Hm … Frau Schick will ja nicht meckern, aber schön ist die nicht, sehr alt oder wertvoll auch nicht. Señor Fadrago erklärt – und Nelly übersetzt –, dass diese Maria das Beste war, was sich das Dorf leisten konnte, nachdem ihre romanische Originalmadonna vor sieben Jahren von Kunstdieben entwendet worden sei.
    »Es war eine Madonna von unschätzbarem Wert«, sagt Fadrago mit Begräbnismiene. »Und so wundermächtig. Über Jahrhunderte sind die Königinnen von Navarra hierhergepilgert, um für die Geburt eines Thronerben zu beten. Immer erfolgreich.« Er zuckt mit den Schultern. »Nun«, fährt er fort, »leider sind solche

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