Frau Schick räumt auf
Frau – nach einem Buch von Rosamunde Pilcher und einer fixen Idee von Nelly Brinkbäumer. Du verkaufst Dich wie immer weit unter Wert.
Nelly schüttelt erbost den Kopf, dreht ihn zum Fenster und starrt in die ozeanblaue Stratosphäre. Diesen Unsinn will sie sich wirklich nicht länger antun! Wäre die Mail aus Papier, würde sie sie zusammenknüllen und durch das Flugzeug pfeffern.
Der Baske schiebt ihr wortlos die Veilchenpastillen aufs Klapptischchen und murmelt etwas, das wie »Schlechte Neuigkeiten?« klingt.
Nellys Finger schwebt über der »Löschen«-Taste, aber das ist nicht das Gleiche. Im Internet geht nichts verloren, und auch diese elektronisch erzeugte Beleidigung wird noch Jahrmillionen durch den Orbit kreisen und ganz sicher in ihrem Kopf. Mit diesem Pamphlet hat Ricarda sich selbst übertroffen. Und ihr wirft sie eine verdrehte Fantasie vor?
Nelly reckt das Kinn. Ricarda hat überhaupt völlig unrecht. Javier soll ein Hochstapler und Lügner sein? Pah. Und von wegen Bauer! Was bitte ist mit Javiers Einladung zu einem offiziellen Businesslunch mit Vater, Vorstand und weiß der Kuckuck wem? Was ist mit der Website der Tosantos, auf der Javiers Name und sein Posten als Juniorchef mehrfach erwähnt werden und in deren Impressum er selbstredend auch steht? Ha, nimm das, du Trulla!
Natürlich bin ich gerade durchs Internet gesurft und habe mir die Homepage der Bodegas Tosantos genau angeschaut. Du aber anscheinend nicht!
Lächerlich, sie kennt die Homepage ganz genau! Und überhaupt: Ricarda versteht gerade genug Spanisch, um auf Gran Canaria Sangria zu bestellen. In Lokalen, die »Man spricht Deutsch«-Schilder im Fenster aushängen.
Du wirst einwenden, dass ich kein Wort von dem verstehe, was auf der Homepage steht! Sí. Aber vielleicht kannst du ja mir verraten, warum Dein fabelhafter Javier – der Mann mit dem fotogenen Banderas-Look – nicht auf einem einzigen Bild auftaucht, obwohl diese berühmte Winzersippe jeden Urgroßvater seit der Erfindung des Lichtbildes in die Internet-Galerie gesetzt hat? Mehr als der Name Javier findet sich nicht. Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass Dein Javier vielleicht gar nicht der Javier ist?
Und was bitte sollte ein Javier, der nicht der Javier ist, von ihr wollen? Nelly ärgert sich rasend und ist doch neugierig, was Ricarda sich als Erklärung zusammenfantasiert hat.
Ich weiß nicht, was dieser Neruda-Depp von Dir wollen kann, halte es aber für hochgradig unverschämt, dass ein vorgeblicher Finca-Besitzer, der mit einem goldenen Löffel oder Weinbecher im Mund geboren wurde, eine kleine Übersetzerin, die finanziell hart am Limit segelt, zu einer dreiwöchigen Pamplona-Reise verführt, die steuerlich auf diesem Niveau kaum absetzbar ist. Gib’s doch zu: Du bezahlst mal wieder den ganzen Zirkus aus eigener Tasche, so wie Du Jörg über Jahre finanziert hast, oder?
Ja, da muss Nelly Ricarda beinahe recht geben. Aber nur beinahe. Mit den Kosten für Flug, Nobelhotel und Mietauto investiert sie schließlich in ihre berufliche Zukunft. Und Javier kann nicht wissen, wie knapp sie bei Kasse ist. Sie hat es ihm nicht erzählt. Javier kennt sie nur als Chefin einer international tätigen Übersetzungsagentur. Was ja auch stimmt, selbst wenn sie Chefin und einzige Angestellte in einer Person ist. Sie braucht diesen Auftrag, und eine allein arbeitende Expertin für Dieseltraktoren hätte er kaum mit feinsinnigen lyrischen Elogen über Wein betraut. Er hätte sie vielleicht nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Nelly sucht mit den Augen nach den Spucktüten. Auf einmal ist ihr sehr, sehr schlecht. Und auch das hat Ricarda offenbar vorausgeahnt.
Wenn Dir das, was ich schreibe, den Magen umdreht, dann pass bitte auf Dich auf! Ich möchte nicht, dass Dir noch einmal jemand so gründlich das Gemüt verbeult, wie Jörg das getan hat. Wenn Verliebte im Zug sitzen, sehen sie den Bahnhof rückwärtsfahren, und es ist sinnlos, sie mit einem Vortrag über physikalische Gesetzmäßigkeiten vom Gegenteil zu überzeugen oder sie auf die Haare in der Nase und den miesen Charakter des Geliebten hinzuweisen.
Darum habe ich es mit dem versucht, das ich am besten kann: mit bösartigen Beleidigungen und Unterstellungen. Die wirken länger als einfühlsame Ratschläge. Ich wünsche Dir und mir von Herzen, dass ich in jedem einzelnen Punkt unrecht habe.
Nelly, Du bist ein Schaf und trotzdem der wichtigste, liebste, großherzigste und wertvollste Mensch in meinem Leben.
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