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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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ja, ich mach sofort Schluss … Nee, is’ nichts Wichtiges … nur meine Mutter.« Dann redet sie wieder mit Nelly. »Die Make-up-Frau hat nur total kurz Zeit. Sie muss noch Keira Knightley schminken. Das ist Wahnsinn hier! Kussi, Kussi!«
    Und Ende.
    Nelly fühlt sich wie vor den Kopf geschlagen. Das »Kussi-Kussi«, das war nicht ihre Becky. Und die spitzen, affektierten Kussgeräusche, die sie dazu fabriziert hat, auch nicht. Was für eine Show soll dass überhaupt sein, in der Jörg mit ihr auftreten will? Irgend so ein Superstar-Quatsch? Sie hat ja immer befürchtet, dass Jörg einmal das Register »Ich mach dich zum TV-Star« ziehen würde, um sich die Liebe seiner Tochter für alle Ewigkeiten zu sichern. Nun, gegen einen Talentshow-Papa kann sie nicht ankommen. Nie und nimmer. Jetzt heißt es also tatsächlich, von ihrer kleinen Becky Abschied zu nehmen.
    Nelly wirft einen Blick zurück auf Eunate. Eben im Dunkel der Kirche fühlte sich alles so leicht und ihre Verbindung zu Becky so unerschütterlich an. Nun, das ist sie auch, aber der flüchtige Einblick in Beckys derzeitige Welt tut weh. Diese Welt ist meilenweit von ihrer entfernt, viel weiter als Spanien von Deutschland.
    Nelly zieht die Füße auf den Beckenrand und lässt sie in der Sonne trocknen. »Verschwinde, du mieser Betrüger! Ich will dein dreckiges Geld nicht mehr. Du hast mir auch nicht zu sagen, was ich tun soll. Keiner von euch«, dringt aus der Ferne eine wütende spanische Stimme an ihr Ohr. »Verschwinde aus meinem Leben!«, zürnt es erneut, diesmal in gebrochenem Deutsch. Paolos Deutsch.
    Kurz darauf teilt sich vor ihr ein mannshohes Gebüsch. Paolo schlüpft hindurch. Sein Jesusgesicht ist derart von Zorn verzerrt, dass sie unwillkürlich an den dies irae , den Tag des Jüngsten Gerichts, denken muss. Wer hat diesen bislang so stillen, gleichmütigen und verträumten jungen Mann derart in Rage versetzt?
    Herberger.
    Der tritt mit verschlossener Miene ebenfalls aus dem Gebüsch. Er wirkt abwesend und – Nelly kann es kaum fassen – tödlich verletzt. So verletzt, wie sie sich eben wegen Becky gefühlt hat.
    »Fehlt Ihnen etwas?«, fragt sie.
    Herbergers Augen kehren wie aus weiter Ferne zurück. »Haben Sie etwa gelauscht?«, wütet er mit einer Stimme, die wie das Echo von Paolos »Verschwinde aus meinem Leben« klingt. Doch bevor Nelly antworten kann, besinnt sich Herberger. »Tut mir leid. Ach, ist ja auch egal. Vollkommen egal.«
    Von der Kirche her ertönt Paolos gewohntes Vamos . Herberger zögert. Nelly streift Socken und Schuhe über. »Nun kommen Sie schon«, sagt sie entschlossen und deutet mit dem Kopf in Richtung Wandergruppe. »Wir haben noch eine ziemliche Strecke vor uns. Mehr als fünfzehn Kilometer, wenn ich das richtig verstanden habe.«
    »Achtzehn«, berichtigt Herberger automatisch und schüttelt den Kopf. »Ich denke, für mich ist ab hier Schluss. Das Ganze war völlig verrückt. Reiner Irrsinn.« Er dreht sich um und verschwindet wieder im Gebüsch.
    Einen Moment überlegt Nelly, ihm zu folgen. Der Mann braucht Hilfe. Dann ruft sie sich zur Ordnung. Wie bitte? Hilfe? Doch nicht dieser unverschämte Holzkopf!

27.
    »Das ist eine reichlich einfallslose Lektüre«, stellt Frau Schick seufzend fest, legt Bettinas Aktenordner auf einem Tisch im Innenhof der Finca Viabadel ab und lehnt sich in ihrem Korbstuhl zurück.
    Bettinas Aufzeichnungen über ihre geistige Verfassung legen einen schmalen Anfangsverdacht auf greisenhaften Starrsinn nahe und erwähnen gelegentliche Rückzüge in die magische Erlebniswelt von Kindern. Natürlich steht das nicht wörtlich in den Berichten, sondern in einem sperrigen Fachvokabular, das Bettina widerwillig erläutert hat.
    Mit dem Vorwurf, sie sei starrsinnig, kann Frau Schick gut leben, denn das ist sie von jeher. Und auch auf die Märchen von der ollen Schemutat und den Wald von Irati lässt sie nichts kommen. Sie weiß, was sie erlebt hat, und echte Wunder behält man in dieser Welt am besten für sich, sonst macht sie irgendwer kaputt. »So.« Sie trinkt einen Schluck aus ihrem Wasserglas und wendet sich dann Bettina zu. »Nun zum Geschäftlichen: Ab morgen schreiben Sie jeden Tag einen Bericht an den Grüßaugust.«
    »Aber warum denn das?«, wundert sich Bettina.
    »Weil Sie Geld dafür bekommen, Sie Dummerchen. Ich empfehle allerdings ein drastischeres Vokabular. Was Sie bislang zu Papier gebracht haben, ist wenig zielführend und zu lasch. Mir fehlen Begriffe wie

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