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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Paolo aus dem Baskischen mit »Kreuzotternnest« übersetzt hat. Ein erdfarbenes Hügeldorf inmitten von Weinbergen, in dem der Camino unter dem Rathaus hindurchging und wo Steinbänke zur Rast einluden. Hermann und Martha, Hildegard und Ernst-Theodor haben sich nach dem harten Anstieg dort verabschiedet, um auf den Bus zu warten und später ein Kloster zu besichtigen. Ernst-Theodor hat sich sogar als Führer für die Klostertour angeboten und damit Paolo ermöglicht, mit Nelly weiterwandern zu können.
    Selbst Hildegard schien mit dem Führungswechsel einverstanden zu sein und froh darüber, ihren Ernst-Theodor wieder als Bildungswunder anpreisen zu dürfen. Ein Wunder, das ihr allein gehört. »Mein Ernst-Theodor weiß alles über das Kloster Irache«, hat sie Hermann und Martha versprochen. »Das war unter anderem mal eine Universität, die sich über dreihundert Jahre lang nur mit dem Dogma der unbefleckten Empfängnis befasst hat. Das muss man sich mal vorstellen! Eine ganze Universität macht sich über dreihundert Jahre ausschließlich über die unbefleckte Empfängnis und Marias Jungfräulichkeit Gedanken. Natürlich lauter Männer. Aber immerhin haben sie den Glauben sehr ernst genommen.«
    Ernst-Theodor selbst hat nur kurz damit aufgetrumpft, dass das Wunder der jungfräulichen Geburt nach Aussage einiger moderner Philologen auf ein Missverständnis und einen Übersetzungsfehler zurückgeht. »In den hebräischen Urtexten der Bibel ist lediglich von ›einer jungen Frau‹ und nicht von einer Jungfrau die Rede, die zur Mutter des Messias erkoren wurde.« Dann hat er mit Blick auf seine Hildegard lieber geschwiegen.
    Paolo ist Nelly dann vorausgegangen. Schweigend. Ihm schien genau wie ihr mehr nach einem strammen Fußmarsch als nach kulturhistorischen Erläuterungen oder theologischer Konversation zumute zu sein.
    Bergab gelangten sie durch eine einsame Schlucht zu einem Fluss, den sie auf einem Römerbrückchen querten. Schmal und krumm wie ein Zwergenbuckel ragte es aus der Böschung. Danach führte der Weg stellenweise über Reste einer alten Straße, die Legionen der Cäsaren kunstvoll gepflastert haben, vorbei an schwarzen Zypressen, durch silbrige Olivenhaine und Disteläcker. Eine beinahe toskanische Landschaft – und ein willkommener Trost für den Wegabschnitt, den sie danach parallel zur Schnellstraße laufen mussten.
    Der Gesang der Zikaden in den umliegenden Feldern mischt sich in Nellys Kopf mit dem Prasseln des Duschwassers. Sie liebt Zikaden seit jeher, weil die sie unweigerlich an Sonne und Süden denken lassen. Nelly schließt die Augen und lauscht den Zikaden nach, während das Wasser weiter auf sie herabströmt. Das raue Quaken von Fröschen untermalt das spitze Flügelzirpen, genau wie an dem Tümpel, an dem sie mit Paolo Rast gemacht hat.
    »Guck mal«, hat Paolo plötzlich ihr einvernehmliches Schweigen gebrochen. »Guck mal« pflegt er immer dann zu sagen, wenn er auf eine Sehenswürdigkeit hinweisen will. Gemeinsam haben sie dann schwarz und grün gefleckte Frösche entdeckt, deren Werbungszeit noch nicht vorbei war.
    Neben der Erfahrung in Eunate war es für Nelly der erstaunlichste Moment an diesem Tag. Nie zuvor hat sie erlebt, wie nah und verbunden man sich einem Fremden fühlen kann, wenn man miteinander schweigen, schauen, lauschen und auch lauthals lachen kann. Gelacht haben sie über die Frösche, die dem Gesang der Zikaden nicht gewachsen waren und ihr Konzert immer wieder völlig erschöpft unterbrechen mussten, um auf der Oberfläche des Teiches alle viere von sich zu strecken und toter Mann zu spielen.
    Nelly weiß, dass sie die meisten Ortsnamen, die sie unterwegs von Wegweisern abgelesen hat, schon morgen vergessen haben wird. Keines der Dörfer war spektakulär, keine der Landschaften außergewöhnlich, nicht einmal die Frösche eine einzigartige Spezies, aber alles zusammen war genau das, was sie heute gebraucht und was ihr schon so lange gefehlt hat: unterwegs zu sein, allein mit sich selbst und doch beschützt von einem Gefühl der Geborgenheit.
    Sie stellt die Dusche ab und tastet sich durch den warmen Dampf zu den Handtüchern, rubbelt Haut und Haare trocken, hüllt sich in ein Laken und tappt voller Vorfreude auf das Abendessen zum Bett. Darauf ausgebreitet liegen neue Unterwäsche und ein helles Leinenkleid, das Frau Schick für sie ausgesucht und gekauft hat. Vor dem Bett stehen hübsche und herrlich flache Sandalen aus geflochtenem Leder.
    Die alte Dame hat

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