Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
strotzenden Typ mit Bart.
»Nein«, sagte ich.
»Der macht inzwischen die fünfte Drogentherapie«, sagte Antje cool.
Ich schluckte. Wie schnell man doch aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwinden konnte!
»Oder die hier! Die war lange Zeit hier die Lustige Witwe«, sagte Antje. »Jetzt spielt ihr Mann die Rolle des lustigen Witwers.«
Zack, abserviert. Der Nächste bitte. Nur nicht drängeln.
»Zu komisch«, sagte ich. »Hängen hier die Lebenden und die Toten alle durcheinander?«
»Ja. Ein paar von denen leben noch. Der hier zum Beispiel.«
Sie stupste liebevoll auf ein kleines Bildchen, das rechts unten in der Ecke hing: Simon Reich, als er noch ein Waldbauernbub war. Da hatte er noch Haare.
Jedenfalls waren wir jetzt beim Thema.
»Ach, der«, sagte ich.
»Unser Papageno«, sagte Antje. »Ist er nicht süß?«
»Es geht«, sagte ich säuerlich.
»Was trinkt ihr, Mädels?« rief der Typ hinter dem Tresen, der über und über mit ausrangierten Programmheften beklebt war. Also der Tresen, nicht der Typ. Obwohl in diesen Kreisen alles möglich war. Bei jedem Windstoß blätterten die Programmhefte sich auf und gaben dem Besucher in Windeseile einen Einblick in den Spielplan der letzten dreißig Jahre. Wirklich originell.
»Schampus«, sagte Antje.
»Ihr liebt den Sekt, ich lieb’ ihn auch«, zitierte ich.
»Ist das nicht Sympathie?«, grunzten wir einstimmig.
»Die lustigen Weiber von Windsor«, sagte der Typ ungefragt. »Hatten wir 1958 und 1964 …« Er ging um den Tresen herum, um die jeweiligen Programmhefte aufzublättern. Das von 1958 hatte das Haltbarkeitsdatum überschritten und hing deshalb nicht mehr dort. »1973 hatten wir dann eine Neuinszenierung …« Heftiges Rascheln und Blättern bei gebückter Haltung und unter Zuwendung seines ausgebeulten Hinterteils aus Cord, »… und letztes Jahr wurde die Premiere abgesagt, weil der Falstaff betrunken war.«
»Wenn das kein Stichwort ist«, sagte ich.
»Wir hätten gern etwas zu trinken«, rief Antje. »Wir wollten nicht nur Bilder gucken!«
Der Typ trollte sich und rollte davon.
Ich kicherte. Antje war leider süß. Sosehr ich auch beschlossen hatte, ihr zu widersagen.
»Ist was?«, fragte Antje, als ich sie so von der Seite ansah.
»Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht«, faselte ich.
O holde Kunst, in wie viel grauen Stunden!
»Meinst du wegen Simon?« Antje war ehrlich erstaunt.
»Seit wann läuft denn das schon mit euch?« Mein nachsichtig-rügender Tonfall traf exakt den von Tante Lilli: Seit wann stehst du denn schon vier in Mathe?
»Seit der Neunten in München. Wir haben uns mitten im Konzert kennengelernt. Unsere Affäre begann vor ausverkauften Reihen.«
»So was hat seinen Reiz.«
»Ich wusste ja zuerst gar nicht seinen Namen. Er war ganz kurzfristig eingesprungen und stand nicht auf dem Plakat.«
»Stimmt. Da stand nur NN.«
»No name«, kicherte Antje. »Er ist ein No-name-Produkt!«
»Jedenfalls benimmt er sich so.«
Ich sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. Sollte ihr überhaupt nicht bewusst sein, dass sie mir meinen Macker ausgespannt hatte?
Der dicke Typ mit der ausgebeulten Cordhose brachte den Sekt.
Wir prosteten uns zu.
»Schön, dass du hier bist. Mit Simon und mit dir zusammen auf der Bühne! Jetzt ist mein Glück perfekt!«
Antje strahlte mich an.
Sie wusste wirklich nichts. So gut konnte es um ihre Schauspielkunst nicht bestellt sein.
»Habt ihr … habt Simon und du …« Ich wand mich vor Verlegenheit. »Habt ihr niemals über mich gesprochen?«
»Doch«, sagte Antje. »Erst letztens noch. Simon sagte, er wisse eine ausgesprochen nette Besetzung für die dritte Dame. Pauline Frohmuth. Da hab ich gesagt, dass ich dich kenne. Ich habe ihm erzählt, dass du einen kleinen Sohn hast und in Köln-Klettenberg wohnst. Und dass dein Mann Arzt ist.«
»Warum hast du ihm nicht gleich gesagt, dass mein Mann wegen seiner Wirbelsäulenprobleme die Missionarsstellung ablehnt?!?«
»Ach, durfte ich ihm das nicht erzählen?« Antje war ehrlich erstaunt. »Dass ihr nicht verheiratet seid, habe ich nicht gesagt, weil ich dachte, dass ihn deine verworrenen Privatangelegenheiten nichts angehen.«
»Gehen sie auch nicht«, sagte ich müde.
»Er hat dich noch in meinem Beisein angerufen. Wir sind sogar zusammen zur Telefonzelle gegangen, weil er zu Hause kein Telefon hat.«
»Nee, ist klar. Wo sollte er das auch hinstellen.«
»Zwischendurch war das Gespräch unterbrochen, und er kam raus,
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