Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
noch von der Rückfahrt zu berichten, die mein erstes Konzert nach der Mutterschaftskrise zu einem unvergleichlichen Erlebnis abrundete.
Ich hatte über eine Stunde gebraucht, um Paulchen satt zu bekommen und eine weitere, um ihn zu wärmen, zu waschen und zu wickeln. Außerdem musste ich alle Sachen packen, mich umziehen und – last not least – Maike für ihre Dienste bezahlen. Sie versicherte mir, das Babysitten habe Spaß gemacht und sie würde es jederzeit gern wieder tun.
Gegen ein Uhr nachts winkte der Küster mich aus der unübersichtlichen Parklücke. Ich sah den Balken in meinem Auge nicht, so tief hingen die Nebelschwaden. Außerdem war es glatt.
Über die unbeleuchtete Landstraße fuhr ich wie auf faulen Eiern mit vierzig Sachen in unbekannte Richtung, in der Hoffnung, irgendwann ein Autobahnschild zu erspähen. Mein geliebtes Paulchen grunzte zufrieden vor sich hin und genoss zum Nachtisch das unvergleichliche Verwöhnaroma seines Schnullers.
Kein einziges Lebenszeichen war außerhalb der Windschutzscheibe zu erkennen. Angestrengt starrte ich auf die Seitenmarkierung der Straße. Dies versprach ja noch ein ungeahnter Höhepunkt zu werden!
Endlich, endlich gewahrte ich die Nebelschlussleuchte eines Lastwagens. Erleichtert hängte ich mich an ihn dran. Jetzt war es nicht mehr ganz so anstrengend, durch die Schwärze zu balancieren.
»So, Paulchen, das hätten wir!«, sagte ich in die Stille hinein.
Klaus hätte so etwas Dummes niemals gemacht. Der ist besonnen! meldete sich Tante Lilli.
Besonnen und gediegen, sagte ich schnippisch.
Fahr sofort an den Straßenrand und halt an!
In dem Moment gewahrte ich das Autobahnschild mit der Aufschrift »Hamburg«.
Da! triumphierte ich, es war die richtige Richtung! Bei meinem Orientierungssinn hätte ich ebenso gut die Fähre nach Schweden ansteuern können.
Vorsichtig fuhr ich hinter dem Laster her auf die menschenleere Autobahn. Kein Schwein fuhr außer uns nachts um halb zwei durch die norddeutsch-neblige Einöde!
Warum hast du nicht in Vlixta übernachtet, giftete Tante Lilli.
Weil eine Spinne im Zimmer war, sagte ich.
Weil ich mich an Klausens Brust schmeißen will, bemerkte mein Schweinehund ungefragt.
Und an das Kind denkst du nicht?
Natürlich! Nur an das Kind! Du hast selbst gesagt, dass eine feuchtkalte Dachkammer eine Zumutung für ihn ist!
Das Streitgespräch mit Tante Lilli hinderte mich zwar am Einschlafen, aber meine Augen begannen zu brennen.
Das Nebelschlusslicht des LKWs zerfloss zu einem roten Zerrbild.
Was der Lastwagenfahrer schafft, schaff’ ich auch, sagte ich laut zum Lenkrad.
Vielleicht ist der Mann ausgeschlafen im Gegensatz zu dir, mischte sich Tante Lilli schon wieder ein. Vielleicht hat er das ganze Wochenende auf dem Sofa gelegen und nicht wie du Konzerte gegeben und Säuglinge gestillt!
Ein Konzert, Tante Lilli, nur eins, sagte ich. Und von Säuglingen im Plural kann auch nicht die Rede sein.
Tante Lilli neigte schrecklich zu theatralischen Übertreibungen. Eine Eigenschaft übrigens, die sie mir immer zum Vorwurf machte!
Meine Augen brannten inzwischen, als hätte ich in einen Pfeffertopf geniest. Ich klapperte ununterbrochen mit den Lidern, ganz so, wie die Sopranistin das während ihrer hohen Töne gemacht hatte. Echt professionell übrigens. Das ganze Publikum leidet bei so was mit.
Ich kurbelte die Scheibe runter und streckte mein Gesicht in den Sprühregen.
Mach das Fenster zu! Das Kind hat keine Mütze auf!
Die trockene Luft im Auto machte mir zu schaffen. Ich stellte die Heizung ab.
Bist du verrückt?! Das Kind kühlt völlig aus!
Ich könnte anhalten und Paulchen in eine Decke wickeln.
Dann verlierst du den LKW, dumme Pute!
Ich schaltete die Heizung wieder an.
Ein Autobahnschild schlich heran. »Hamburg 116 Kilometer.«
Kind, du schaffst es nicht! Fahr an den Rand und bleib stehen.
Das geht nicht! Wenn ich den Motor ausmache, kühlen wir genauso aus!
Dann lass den Motor an!
Was? Die ganze Nacht? Das ist Umweltverschmutzung!
Dann fahr zur nächsten Autobahnraststätte! Das ist mein letztes Wort!
Verbissen fuhr ich weiter. Der LKW und ich, wir hatten gerade mal sechzig Sachen drauf. Der Nebel wurde immer dichter.
Plötzlich blinkte der Laster nach rechts und verschwand auf einem dunklen Parkplatz. Blitzschnell überlegte ich, ob ich hinterherfahren sollte. Aber ein fremder LKW-Fahrer und ich, eine uneheliche Mutter mit einem unehelichen Kind, mitten in der Nacht auf einem
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