Frauen al dente. (German Edition)
Auszuschließen war es nicht. Doch es klang völlig verrückt. Zu verrückt, wie Barbara entschied.
»Frauen wie wir bezahlen nicht für Sex. Und Männer wie du nehmen dafür kein Geld. Oder soll ich der Sitte mal einen Tip geben?« zischte sie. Sie kribbelte vor Nervosität. In wenigen Sekunden würde die Ampel wieder auf Grün umspringen. Wenn sie keinen Verkehrsstau provozieren wollte, mußten sie die Geschichte zu Ende bringen.
Plötzlich nahte Verstärkung. »Du Schuft! Erst läßt du mich mit dem Baby sitzen und dann hebst du noch unser ganzes Geld vom Konto. Wovon sollen wir leben? Etwa vom Sozialamt?« Anklagend streckte Marlen ihrem ständig größer werdenden Publikum Lisa entgegen. Angesichts der vielen fremden Gesichter wußte das Kind, was es seiner Ziehmutter schuldig war. Es krähte los. Schrill und durchdringend. In einem Ton, der den Nerv traf. Ganz liebende Mutter preßte Marlen es an sich. Als daraufhin das Geschrei verebbte, sammelte sie alle Sympathien auf ihrer Seite.
Eine Entwicklung, die Jens entging.
»Ihr spinnt doch total!« schimpfte er wütend. Er machte Anstalten, gegen Barbaras Widerstand die Autotür zuzuziehen, um sich aus dem Staub zu machen. Doch er kalkulierte die aufgebrachte Menschenmenge nicht ein.
»Das ist einer von diesen Dreckskerlen, die ihre Familien im Stich lassen und sich dann vor den Unterhaltszahlungen drücken. Alles auf Kosten der Steuerzahler. Sozialschmarotzer!« erregte sich eine füllige Mitvierzigerin, die ihre eigenen Erfahrungen mit dieser Spezies gemacht hatte.
»Unverschämtheit. Beklaut die eigene Frau. Wir sollten die Polizei rufen!«
»Schreibt euch die Wagennummer auf. So einer darf nicht ungeschoren davonkommen.«
»Kann ich helfen?« Aus den hinteren Reihen schob sich ein Brummi-Fahrer nach vorne. Schwergewichtig und muskelbepackt. Typen wie Jens zerquetschte er zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Die beiden ziehen hier doch eine Riesenshow ab«, wagte Jens einen letzten, verzweifelten Versuch, sein hartverdientes Geld zu retten.
»Nicht frech werden, Bürschchen!« Drohend rückte der Brummi-Fahrer näher.
Jens zögerte noch eine allerletzte Sekunde. Dann endlich beugte er sich der Übermacht.
»Darf ich bitten?« Barbara hielt ihm eine Plastiktüte unter die Nase. Man sah ihm an, daß er lieber hineingespuckt hätte, als das Geld herauszurücken.
Wenn Blicke töten könnten!
»Danke. Tausend Dank«, rief Barbara in die Menge, während Marlen noch einmal herzzerreißend aufschluchzte. Rückwärts liefen sie zu ihrem Wagen. Für den Fall, daß Jens zum verzweifelten Gegenschlag ausholte. Doch der Brummi-Fahrer hielt ihn in Schach. Aus Angst um sein hübsches Gesicht wagte Jens nicht einmal mehr Protest.
Barbara wendete den Wagen in einer Toreinfahrt. Ein letztes Mal winkten sie der Menge. Dann schoß der Wagen um die nächste Ecke.
»Was tut eine Frau nicht alles für eine Freundin«, grinste Marlen und klopfte Barbara anerkennend auf den Rücken. »Vor dir muß man ja richtig Angst haben. Ich hab' immer gewußt, daß an dir eine Schauspielerin verlorengegangen ist. Oder eine Gangsterin«
»Keine Ovationen, bitte«, erwiderte Barbara in gespielter Bescheidenheit. »Deine Mutter-Kind-Show war auch erste Sahne. Es fehlte nicht mehr viel, und die Leute hätten Jens am nächsten Laternenmast aufgeknüpft.«
Geradezu euphorisch trieb Marlen Barbara zu neuen Taten an: »Auf zur nächsten Runde. Auf zu Hella!«
Im Krankenhaus fragten sie sich bis zur gynäkologischen Abteilung durch. Weil sie keine unmittelbaren Angehörigen waren, wurden sie auf die Besuchszeit vertröstet.
Ja, Frau Merten ging es gut. Den Umständen entsprechend. Doch nähere Auskünfte erhielten ebenfalls nur Angehörige. Man bat um Verständnis.
Sie zogen sich mit Lisa ins Wartezimmer für Nichtraucher zurück. Nach soviel Hektik, Hetze und Aufregung fühlten sie sich unzulässig ausgebremst.
»Was nun?« fragte Barbara. Bis zur Besuchszeit blieben noch knapp zwei Stunden Zeit.
»Das Vernünftigste wäre sicherlich zu warten und vielleicht unten in der Kantine eine Kleinigkeit zu essen«, überlegte Marlen laut. »Sind wir vernünftig?«
»Iiih, bewahre.« Barbara grinste so breit, daß sie gut und gerne Spaghetti quer essen konnte.
So unauffällig, wie es zwei erwachsenen Frauen mit Kind nur möglich war, schlichen sie sich an das Zimmer heran, dessen Nummer die Schwester ihnen vorhin genannt hatte. Zum Glück war das wenige Personal, das sie entdecken konnten,
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