Frauen al dente. (German Edition)
brauchst. Und wahrscheinlich wirst du ihn auch niemals zu lesen bekommen, denn weshalb sollte ich in der Blüte meiner Jahre plötzlich das Zeitliche segnen? Du mußt nämlich wissen, daß ich nicht nur im vollen Besitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte bin – sagt man das so? – ich bin seit kurzem auch die glücklichste Frau der Welt! Bis auf die kleine Wochenbettdepression, die mich im Augenblick heimsucht. Wahrscheinlich schreibe ich deshalb diesen Brief.
Wenn Du diese Zeilen wirklich jemals zu Gesicht bekommen solltest, wirst Du vermutlich bereits wissen, daß ich eine wunderbare, kleine Tochter bekommen habe, die bezauberndste Tochter der Welt. Sie ist kein Wunschkind, eher ein Mißgeschick. Der Vater ist nicht der Rede wert, ich habe ihn daher gar nicht erst beim Standesamt benannt. Zum Glück bin ich nicht auf mögliche Unterhaltszahlungen angewiesen. Ich habe einen Superjob bei einer großen Firma, den ich mir zeitlich einigermaßen frei einteilen kann und von dem ich Lisa Marlen und mich ernähren kann. Ja, du hast richtig gelesen. Ich habe meine Tochter mit zweitem Namen nach dir benannt. Ich habe immer deine Tatkraft und deine unbezwingbare Energie bewundert. Vielleicht ist Dein Name ein gutes Omen, dann brauche ich mir um Lisa Marlens Zukunft keine allzu großen Sorgen zu machen.
Aber wahrscheinlich gehen Babykriegen und Sorgenmachen Hand in Hand. Kaum ist Lisa Marlen auf der Welt, habe ich jedenfalls schreckliche Angst. Angst um Lisa Marlen – um ihre Gesundheit. Es gibt so entsetzlich viele schreckliche Krankheiten, gegen die man als Mutter machtlos ist. Ganz zu schweigen von möglichen Unfällen. Und was mache ich, wenn sie eines Tages in die falschen Kreise gerät? Heute dealt man doch schon auf dem Schulhof.
Aber ich habe auch Angst davor, daß mir selbst etwas passiert, bevor Lisa Marlen alt genug ist, um für sich selbst zu sorgen. Du weißt, meine Eltern sind vor Jahren gestorben, und die einzige Tante, die ich hatte, Großtante Maria, die mit dem hellblauen Briefpapier, starb im letzten Herbst. Gut, es gibt Freunde, auch Bekannte. Ich habe lange darüber nachgedacht und es mir wirklich nicht leicht gemacht: Aber von allen bist Du die einzige, der ich ruhigen Gewissens mein Kind anvertrauen würde. Auf Dich habe ich immer die größten Stücke gehalten. Du bist zielbewußt, Du bist energisch und so ungeheuer selbstbewußt, daß auf Dauer niemand gegen Dich ankommt. Ich habe mich insgeheim immer köstlich darüber amüsiert, wenn Du krampfhaft versuchtest, vor den anderen ›Konkurrenten‹, wie Du uns alle nanntest, Deine sentimentale Ader zu verbergen. Erinnerst Du Dich noch an die scheußliche Glaskugel, die wir auf dem Trödel entdeckten? Das Glas war zur Hälfte blind, und es war kaum noch Flüssigkeit in der Kugel. Doch Du hattest Dich rettungslos in diesen kitschigen Babyengel mit goldenen Flügeln verliebt, der vor seinem Sternenhimmel ziemlich trostlos dahintrieb. Niemand außer Dir interessierte sich dafür. Der Händler schenkte ihn Dir sogar, um ihn endlich loszuwerden. Du trugst ihn nach Hause wie eine Kostbarkeit. Irgendwie hast Du es geschafft, die Kugel zu öffnen und neue Flüssigkeit hineinzufüllen, jedenfalls am Schluß schwamm der Engel wieder selig im Schneegestöber. – Ich weiß nicht warum, aber immer, wenn ich an Dich denke, fällt mir genau dieses Erlebnis ein.
Verflixte Wochenbettdepri, jetzt fange ich glatt an zu heulen. Mach Dir nichts draus. Denk lieber an die Unmengen Erdbeersekt, die wir zusammen vernichtet haben. Und die Kopfschmerzen am Tag danach. Was würden wir trinken, wenn wir uns endlich nach langer Zeit einmal wiedersähen? Sicherlich Prosecco, oder?
Kaum zu glauben, daß wir uns jemals aus den Augen verlieren konnten! Ich weiß nicht einmal, wo Du im Augenblick steckst. Wo bist Du, was machst Du? Hast Du den Job Deines Lebens gefunden? Sobald ich mein neues Leben mit Lisa Marlen in den Griff bekommen habe, werde ich mich auf die Suche nach Dir begeben. Dann werden wir zu zweit diesen Brief lesen und uns wahrscheinlich köstlich darüber amüsieren, während Lisa Marlen friedlich in ihrer Wiege neben uns schläft. Hoffentlich!
Marlen, ich weiß, was ich Dir mit meiner Bitte, Dich nach meinem Tod um Lisa Marlen zu kümmern, zumute. Deshalb fühle Dich nicht verpflichtet. Überlege Dir genau, ob Du bereit bist, die Verantwortung für sie zu übernehmen. Auch ich selbst habe viel Zeit gebraucht, um mich mit diesem Mißgeschick
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