Frauen al dente. (German Edition)
im Gegenteil. Karin ist für ihr Alter ungewöhnlich gewissenhaft, zuverlässig, ehrlich, immer fröhlich … äh …« Marlen merkte selbst, daß ihr die Aufzählung ein wenig zu lang geraten war. Zum Glück hörte Frau Müller ihr ohnehin nicht zu.
»So, so«, murmelte sie, während sie wie ein General nach der Schlacht das Feld, genannt Diele, abschritt. Ohne die Miene zu verziehen, stakste sie über Bauklötze und Brummkreisel. Plötzlich bückte sie sich, um einen kleinen grauen Plastikball aufzuheben. Der sich unter ihren Händen bedauerlicherweise nicht in Gold, sondern in eine dreckige, übel stinkende Kinderwindel verwandelte. Zum Glück entfachte Frau Müller keine Staatsaffäre aus ihrem Fund. Sie schritt einfach in die Küche, um das Corpus delicti im Mülleimer zu versenken. Wobei sie beide Räume mit Blicken absuchte. Doch außer dem Berg schmutzigen Geschirrs sprang ihr keine weitere Nachlässigkeit ins Auge.
»Ich habe den Eindruck, daß Lisa sich überwiegend in dieser Wohnung hier aufhält. Meinen Unterlagen zu Folge müßte sie sich jedoch bei Herrn Martin Bode, Rechtsanwalt Bode, genaugenommen, aufhalten. Bis über die Frage der Vormundschaft endgültig entschieden ist. Sollte da ein Fehler vorliegen?«Höflichkeitshalber ließ sie offen, bei wem der Fehler vorliegen könnte.
Marlen lief es siedendheiß über den Rücken. Sie zermarterte sich das Hirn, was Martin ihr zu diesem Punkt erklärt hatte. Durfte sie ungestraft zugeben, daß Lisa bei ihr wohnte? Oder sollte sie es lieber verschweigen, weil es sonst Schwierigkeiten mit dem Amt geben könnte? Es mußte doch auch eine unverfängliche Erklärung geben.
»Herr Bode und ich wohnen zusammen«, log sie aufs Geratewohl. Als Frau Müller daraufhin in ihren Unterlagen zu blättern begann, um die Anschriften zu vergleichen, präzisierte sie: »Herr Bode hat zwar noch seine eigene Wohnung, meistens wohnt er jedoch hier. Wir sind nämlich verlobt.« Ein fabelhafter Einfall. Das Wort Verlobung besaß Magie. Es bedeutete Bindung und Freiheit zugleich.
Sie fühlte sich beinahe enttäuscht, als Frau Müller Marlens Einfallsreichtum nur mit einem nichtssagenden »Mmmh!« quittierte. Als sie aus ihrer Plastik-Umhängetasche eine zerfledderte Kladde zog, ein freies Blatt suchte und eifrig Notizen daraufkritzelte, wurde allerdings augenblicklich ihre Wachsamkeit geweckt.
»Was darf ich Ihnen anbieten. Eine Tasse Kaffee? Oder frischen Pflaumenkuchen? Wenn Sie möchten, mit Sahne«, versuchte sie abzulenken.
»Ein Glas Mineralwasser wäre mir lieber. Ohne Kohlensäure, bitte. Und … darf ich vorher Ihre Toilette benutzen? Ich hatte bis jetzt noch keine Gelegenheit…«
»Aber ich bitte Sie!« Ausgerechnet. Der Punktabzug für unsaubere Waschbecken war ihr gewiß. Das Minuskonto schwoll an. Es war höchste Zeit, im Plus auszugleichen. Während Marlen ein Glas mit stillem Wasser aus dem Hahn füllte, fiel ihr sehnsüchtiger Blick auf das Tablett mit Pflaumenkuchen. Ihr knurrender Magen würde vergeblich warten. Wenn Frau Müller in Ausübung ihres Dienstes verzichtete, mußte sie es notgedrungen auch. Aus purer Höflichkeit. Sie hoffte nur, daß Frau Müller ihr harmloses Pflaumenkuchenangebot nicht als Bestechungsversuch interpretierte.
Weshalb war sie bloß so verflucht arrogant gewesen? Sie hatte mal wieder geglaubt, mit ihrem obercoolen Journalismus-Background alles managen zu können, doch statt dessen schwitzte sie nun Blut und Wasser, sobald Frau Müller sich nur räusperte. Wo blieb Martin Bode?
Schlüsselgerassel an der Wohnungstür. Endlich. Bestimmt waren es Karin und Lisa. Marlen eilte hinzu, um die nötigen Instruktionen zu erteilen, solange Frau Müller noch auf dem Klo saß.
Huch! Was war denn das?
Eine gebeugte Gestalt im Büßergewand. Aschgrau das Haar, ungeschminkt, gehüllt in ein grobmaschiges Leinen-Wallegewand in leuchtendem Orange, wandelnd in braunen Öko-Sandalen. Der Geist von Barbara. Ihre Schattenfrau. Was war geschehen? Wieso war sie plötzlich um Jahre gealtert, besonders auf dem Kopf?
Die Tür vom Badezimmer wurde geöffnet, gerade als Barbaras Geist vorüberschwebte.
»Huch!« entfuhr es der guten Frau. Einen Augenblick lang rechnete Marlen damit, daß sie sich sofort wieder im Bad einschließen würde. Doch wer beim Sozialen Dienst arbeitete, war so schnell nicht abzuschrecken.
»Gehört sie einer Sekte an?« fragte sie Marlen, nicht ohne Schärfe. Sie zückte ihre Kladde.
Hinter Barbaras Geist schloß sich soeben
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