Frauen, die Geschichte machten
Kriegserlebnissen macht die Autorin den Wandel der jungen Frau deutlich, die zunächst wie Bertha selbst
Kriege als historische Unvermeidlichkeiten, ja als Heldenstücke wahrnimmt. Erste Risse bekommt ihr Weltbild, als der Mann
1859 fällt und sie ihren zweiten Mann, einen Offizier, kennen lernt, der selbst von tiefen Zweifeln an seinem Metier geplagt
wird.
Geschickt spinnt die Verfasserin eine Liebesgeschichte in ihrer glühenden Streitschrift und verstärkt damit den Kontrast zum
grausigen Geschehen, das sie in einer Unverblümtheit schildert, wie es bisher unbekannt war und das die Leser von einer Frau
nicht erwartet hätten. Darin heißt es: »Und wieder geht es weiter: An Toten vorüber – an Hügeln von Leichen. Viele dieser
Toten zeigen die Spuren entsetzlichster Agonie. Unnatürlich weit aufgerissene Augen – die Hände in die Erde gebohrt – die
Haare des Bartes aufgerichtet – zusammengepresste Zähne unter krampfhaft geöffneten Lippen …« Und sie steigert es bis hin
zu einem Volltreffer in einem Lazarett: »Das Schreien, vielmehr das Geheul, welches aus dieser Stätte der Verzweiflung gellt
und welches in seinem wilden Weh alles übrige Getöse übertönt, das wird wohl jenen, die es hörten, ewig unvergesslich bleiben.«
Im Roman lässt die Autorin ihre Heldin über das Schlachtfeld von Königgrätz irren, an wimmernden Verletzten vorbei, die zwischen
verwesenden Gefallenen liegen, in Schmutz und Kot elendiglich umgekommen. Es folgt die Schilderung der Cholera-Epidemie im
Gefolge des Krieges und der fluchtartigen Umsiedlung nach Paris, wo der Krieg das Paar 1871 einholt und der zweite Mann Opfer
des Mobs wird, der ihn für einen preußischen Spion hält. Martha verschreibt sich fortan dem Friedensgedanken und nimmt damit
die Entwicklung ihrer Schöpferin Bertha von Suttner vorweg, die den Kampfruf ihres Romans nun ebenfalls zum Beruf machte und
1892 sogar eine Monatszeitschrift mit dem gleichen Titel ins Leben rief.
Ihr Buch fand vorwiegend begeisterte Resonanz. Besonders stolz machten sie Gratulanten wie Alfred Nobel und Wilhelm Liebknecht.
Am wichtigsten aber war ihr ein Brief des großen russischen Romanciers Leo Tolstoi; darin heißt es hoffnungsfroh: »Der Abschaffung
der Sklaverei ist das berühmte Buch einer Frau vorausgegangen [»Onkel Toms Hütte«, 1852], Madame Beecher-Stowe; gebe Gott,
dass das Ihre das Gleiche bewirke für die Abschaffung des Krieges.« Natürlich gab es auch Kritik. Ihre Forderung nach radikaler
Abrüstung sei realitätsfern, und nach wie vor gelte das lateinische Sprichwort:
Si vis pacem para bellum
– Willst du Frieden, rüste dich für den Krieg! Und Spötter blieben ebenfalls nicht aus. Für sie sei stellvertretend Felix
Dahn zitiert: »Die Waffen hoch! |208| Das Schwert ist Mannes eigen, / Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen. / Doch freilich, Männer gibt’s in diesen Tagen,
/ Die sollten lieber Unterröcke tragen.«
Mehrheitsfähig war Pazifismus allenfalls als Lippenbekenntnis, aber keinesfalls politisch. In Deutschland schon gar nicht,
wo der Mensch – so ein geflügeltes Wort – erst beim Leutnant anfing. Außerdem spielten Mehrheiten damals bei weitem noch nicht
die Rolle wie in den entwickelten Demokratien heute, und Frauen waren in der Politik ohnehin nicht vorgesehen. Bertha von
Suttner kam es daher zunächst gar nicht in den Sinn, ihren Schreibtisch gegen das Rednerpodium zu vertauschen. Wer würde schon
auf sie hören. Doch wie das langsame Umdenken der Gesellschaft ihrem Buch zugute kam, so beeinflusste es seinerseits das Meinungsklima.
Den schon früher gebildeten Friedensgesellschaften schlossen sich immer neue an, und auch in den Parlamenten bildeten sich
Friedensgruppen. So konnte es nicht ausbleiben, dass sich viele die berühmte Verfasserin des Bestsellers als Referentin wünschten,
ja dass sich in der Suttnerschen Heimat Leute zusammenfanden, die eine österreichische Friedensgesellschaft für geboten hielten.
Bertha von Suttner konnte sich dem nicht entziehen und wollte es auch gar nicht, lockte sie doch jetzt das Auftreten in der
Öffentlichkeit, das ihr als Sängerin versagt geblieben war. Am 20. Oktober 1891, nur zwei Jahre waren seit ihrem Bucherfolg
vergangen, kam es im Wiener Alten Rathaus zur Gründung der 2000 Mitglieder zählenden »Österreichischen Friedensgesellschaft«
und zur einmütigen Bestellung der stolzen Baronin zur Präsidentin. Der Posten
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