Frauen fragen Feuerstein
beruhenden Handwerk der Prosa, ritt mich — als wir alle schon ein bisschen gefeiert hatten — , der Teufel, und ich verkündete, ich würde jetzt die Gedichte von Thomas Bernhard vertonen.
Es war ja auch zu verlockend. Denn neben dem Klavier standen noch Kindertrommeln, Xylophon und ähnlicher Tingeltangel aus dem Orff-Schulwerk rum, mit dem sich die Frau meines Freundes beruflich abquälen musste, das ideale Instrumentarium für meine spontane Showeinlage. Thomas Bernhard nahm mich zur Seite: »Tu’s nicht«, sagte er leise, »es gibt Dinge, die einem wichtig sind .« Aber wenn man den Stachel destruktiver Spottlust spürt, gibt es kein Halten, schon gar nicht vor Publikum, und wenn einer noch dazu von »Dingen« schwätzt, »die wichtig sind«: Gehören diese »Dinge« nicht sofort angezweifelt, meine Damen und Herren? Hinterfragt, ob sie standhalten können, und zerstört, wenn nicht? Ist das nicht der ständig nötige Gütetest der Kunst?
So könnte man das begründen. Aber in Wahrheit wollte ich mich natürlich nur vor Publikum produzieren. Mit Lachern auf Kosten anderer.
Nach dem Muster der damals gerade hochaktuellen, ziemlich sterilen, aber als todschick geltenden » Musique concrete « ging ich ans Werk: Mit falschem Pathos las ich ein Gedicht nach dem anderen, begleitet von Klavierklumpen und viel Klappern und Klirren von Orff-Schulwerk und ein paar Küchentöpfen, die ich als Ergänzung eingesetzt hatte. Die Freunde lachten, und das stachelte mich weiter an, und sie lachten noch mehr, alle lachten — außer Thomas Bernhard, der mich mit großen, traurigen Augen ansah...was mich noch mehr anheizte, jeder Lustmörder kennt das: Bei der Zerstörung, einmal ins Laufen gebracht, gibt es kein Zurück.
Als ich fertig war, gab es Applaus, und Thomas Bernhard war beleidigt.
Ein paar Tage später trafen wir uns im Tirolerhof , einem Kaffeehaus gegenüber der Albertina, das es auch heute noch gibt. Wir versuchten, uns auszusprechen. Aber wir kamen nicht weit. Er nannte mich einen »Schmetterling, der zur Raupe mutiert«, und nicht umgekehrt, wie sonst in der Natur üblich. Und ich sagte, er sei ein weinerlicher Pathetiker mit hohlen Phrasen. Und das war’s. Zu meinem Nachteil entstand daraus keine wichtige Feindschaft von literarischer Bedeutung, wie er sie mit so vielen anderen ausfocht . Sondern nur die simple Einsicht, dass man miteinander nicht kann.
Im Frühjahr 1988 sah ich ihn zum letzten Mal, ganz zufällig auf der Wiener Kärntnerstraße. Er kam gerade aus dem Café des Hotel Ambassador , »Servus, Feuerstein«, sagte er, mit diesem ironischwehmütigen Lächeln, das eigentlich gar kein ironisch-wehmütiges Lächeln war, sondern sein ganz normaler Gesichtsausdruck, »na, was machst’ denn so?« »Na ja, ich quäl mich dahin«, sagte ich routinemäßig. »Ich auch, ich auch«, sagte Thomas Bernhard, der große Dichter. Und mir war sofort klar, dass alles, was bei unsereins verlegene Routine ist, bei großen Dichtern Literatur bedeutet.
»Ich auch, ich auch«, hatte Thomas Bernhard zu mir gesagt. »Ich auch, ich auch«, ein Jahr vor seinem Tod. Nicht zu irgendjemand hat er es gesagt, sondern zu mir. Was für ein unsterblicher Ausspruch, Ich denke oft daran.
Stuhlprobe
Die wohl seltsamste Umfrage kam von Amina Wagner aus Düsseldorf, Es ging um eine Diplomarbeit mit dem Thema »Stühle«. Und dem zusätzlichen Wunsch, die Antwort unbedingt handschriftlich zu erstellen.
Geiler als Der Wachturm
(Zum 20-jährigen Jubiläum der Gratis-Fernsehbeilage Prisma )
Über fünfzig Jahre ist es her, da war ich noch klein...nein, ich fange noch mal neu an:
Auch vor fünfzig Jahren war ich schon klein, und eines Tages wollte ich mal wieder nicht Klavier üben. Ich erwartete, dass Mutter — wie üblich — mit dem Totschläger kommen würde. Stattdessen kam sie mit einer düsteren Prophezeiung. Sie nahm die Zigarre aus dem Mund: »Wenn du nicht übst, Feuerstein«, sagte sie, »kommt der böse Watz und beißt dir alle elf Finger ab .« Ich übte.
Dreißig Jahre später, im Jahre 1977, genau an demselben Tag trug sich Ähnliches im Nordrhein-Westfälischen zu: Ein Häuflein braver, aber nicht fleißiger Verleger wollte nicht üben und planend in die Zukunft schauen und wurde deshalb von einem fürchterlichen Unheil bedroht. Nicht der böse Watz war es diesmal...sondern die böse WAZ, jawohl. Denn die böse WAZ hatte eben eine Wochenendbeilage gegründet und drohte damit, den Verlegern alle elf Leser
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