Frauen lügen
gefahren, damit die Menschen auf Deck beide Bauwerke noch einmal ganz aus der Nähe betrachten können. Während Anja sich nach links wendet und ihren Blick noch einmal bewundernd an den Glaswänden der Musikhalle hinaufwandern lässt, nimmt Sven die Straße, die vor dem Marco-Polo-Tower direkt am Wasser entlangführt, genauer in Augenschein. Aus einem dicken BMW steigt gerade ein Anzugträger, der Sven sehr bekannt vorkommt. Aufgeregt zupft er seine Frau am Ärmel.
»Schau mal da drüben, Anja. Der Typ neben dem BMW , der gerade von den beiden Herren in Clubjacketts begrüßt wird. Weißt du, wer das ist?«
»Ich bin nicht gerade eine Klatschspaltenleserin, woher soll ich das also wissen.«
»Das ist dieser Jonas Michelsen, der Mann unseres Mordopfers.«
»Und was glaubst du, was der hier macht?«
»Die Gesten der Herren sind doch eindeutig. Ständig zeigen sie auf diesen Wohnturm. Entweder das Geld von dem Hotelier steckt in dem Projekt …«
»… oder er will dort eine Wohnung kaufen.«
»Richtig. Und weißt du, was komisch ist? Ich habe dir doch von dem mysteriösen Zweithandy erzählt, das wir bei der Toten gefunden haben. Der einzige Anruf, der von diesem Handy getätigt wurde, nachdem die Schauspielerin es verloren hat, galt der Immobilienfirma, die hier die Wohnungen vermittelt. Die Schauspielerin Nussbaum hatte diese Firma nicht in ihrer Kundenkartei. Aber mit dem Namen Jonas Michelsen werden wir dort bestimmt fündig.«
Eilig holt Sven sein Handy aus der Tasche und tippt die Kurzwahl für Bastian Kreuzer an. Anja Winterberg verdreht die Augen.
»Aber lass dir ja nicht noch einen Rechercheauftrag aufhalsen, hörst du? Das hier ist
mein
Geburtstagsgeschenk und nicht das von deinem Kollegen Kreuzer. Ich sag’s nur einmal.«
Samstag, 20 . August, 18.23 Uhr,
Campingplatz, Wenningstedt
»Verdammter Mist«, flucht Bastian, während er mit einem wackligen Gummihammer die letzten beiden Zeltheringe in den spröden Boden jagt. Den Versuch, ein bezahlbares Zimmer für die nächsten zwei Wochen zu bekommen, hat er nach wenigen Telefonaten abgebrochen. Und Sven Winterberg, der sich aus Hamburg mit interessanten Details über Jonas Michelsens Immobilienaktivitäten gemeldet hat, hat er gar nicht erst um eine Notunterkunft gebeten, als er erfuhr, dass in Svens Kampener Haus für die Zeit seiner Abwesenheit die Schwiegereltern einquartiert sind. Mette, die kleine Tochter der Winterbergs, wollte lieber zu Hause bleiben, als für drei Tage zu den Großeltern umzuziehen.
Es ist Bastian also wenig anderes übriggeblieben, als am Nachmittag in der Westerländer Fußgängerzone ein einfaches Ein-Mann-Zelt und einen Schlafsack zu kaufen. Beides hat er ins Heck seines Kombis zu den zwei Reisetaschen geworfen, die seine gesammelten Habseligkeiten aus Siljas Wohnung enthalten, und ist zum Wenningstedter Campingplatz gefahren. Der war, wie zu erwarten, ebenfalls ausgebucht. Unter Zuhilfenahme seines Dienstausweises und der gewagten Behauptung, er müsse undercover einige Recherchen durchführen, gelang es Bastian, den Platzwart dazu zu bringen, ihm gegen jede Regel doch noch einen schmalen Wiesenfleck zuzuweisen. Unter den schadenfrohen Blicken der benachbarten Camper kämpft der Hauptkommissar nun seit einer guten Viertelstunde mit den Tücken des Materials und bereut es längst zutiefst, nicht doch das von dem Verkäufer vollmundig gepriesene arktistaugliche Luxus-Iglu-Zelt erstanden zu haben. Stattdessen quält er sich jetzt mit minderwertigen Zeltstangen und leicht zu verbiegenden Heringen herum.
Zum Glück ist der Abend wenigstens windstill und trocken. Wie sein nicht besonders vertrauenserweckend wirkendes neues Heim auf einen ordentlichen Sturm oder gar einen Gewitterregen reagieren würde, wie er ihn bei den Ermittlungen vor zwei Jahren erlebt hat, wagt sich Bastian im Moment gar nicht vorzustellen. Mit knapper Not kann er jetzt seine beiden Reisetaschen am Kopf des Zeltes so unterbringen, dass noch genügend Platz für die Isomatte und den ausgerollten Schlafsack bleibt. Immerhin hat Bastian bei dessen Kauf nicht gespart, denn die Vorstellung, nachts zu frieren, war ihm schon immer zuwider. Kurz setzt er sich im Inneren des Zeltes auf den Schlafsack und denkt über seine Optionen für den weiteren Samstagabend nach. Ein Blockbuster im Westerländer Kino zwischen präpotenten Oberschülern? Ein einsamer Strandspaziergang mit den Erinnerungen an andere, entschieden romantischere Spaziergänge mit Silja?
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