Frauen lügen
von vorn, damit wir diese blöde Szene endlich abhaken können, ja?«
Ihr Kollege lehnt an der Bühnenwand und trommelt mit den Fingern dagegen, auch seine Stimme klingt missmutig. Er sieht Marie beim Reden nicht an.
»Wo wollen wir anfangen?«
»Na, da, wo das Duell beginnt.«
Der Schauspieler lacht kurz und hart, den Witz macht Marie offensichtlich nicht zum ersten Mal.
»Fünf Minuten Rauchpause, dann in einem Stück durch. Und achtet auf eure Gänge!«
Den gekrächzten Worten aus dem Dunkel der Parkettreihen folgt ein trockenes Husten. Mit einer unangezündeten Zigarette zwischen den Lippen verlässt die Regisseurin die Probe. Sven stemmt sich aus dem Theatersessel und geht langsam zum Bühnenrand.
Leise ruft er hinauf: »Frau Nussbaum. Winterberg ist mein Name. Kriminalpolizei Westerland. Kann ich Sie mal kurz sprechen? Es geht um Ihr verschwundenes Handy.«
»Muss das ausgerechnet jetzt sein?«
Widerwillig erhebt sich die Schauspielerin von dem Sofa, geht nach vorn zum Bühnenrand und setzt sich mit baumelnden Beinen auf die Kante. Von nahem wirkt sie noch fragiler als aus der Ferne, und die Feinheit ihrer Gesichtszüge passt gut zu dem mädchenhaften Tonfall, den sie auch im privaten Gespräch kultiviert.
»Es dauert nicht lange, und wenn Sie wollen, können wir uns auch weiter hinten unterhalten«, bietet der Oberkommissar an.
»Warum das?«
»Wir wären ungestört.«
»Was ich zu sagen habe, kann jeder hören.«
Die Schauspielerin spricht jetzt mit der Stimme eines beleidigten Kleinkindes. Doch Sven Winterberg hat genug von ihrer Kunst gesehen und gehört, um darauf nicht hereinzufallen.
»Wie Sie möchten, Frau Nussbaum. Ich habe ohnehin nur einige wenige Fragen.«
»Bitte.«
»Zunächst Folgendes: Sie bleiben dabei, dass Sie Ihr Handy auf einer Parkbank vergessen haben?«
»Ja, natürlich. Es war am Dienstag oder Mittwoch der vorletzten Woche, genau weiß ich das Datum nicht mehr. Ich habe an der Außenalster meine Rolle gelernt und bekam einen Anruf, den ich wegdrückte, weil mich das Klingeln störte. Dabei muss ich das Handy neben mich auf die Bank gelegt haben. Seitdem ist es jedenfalls verschwunden.«
»Und sie wissen nicht, wie es in den Besitz von Susanne Michelsen gekommen ist?«
»Ich kenne die Frau nicht mal persönlich. Nur über ihren Mann lese ich manchmal in der Zeitung.«
»Ihn kennen Sie auch nicht?«
Sven holt ein Pressefoto des Hoteliers aus der Innentasche seiner Jacke und hält es der Schauspielerin unter die Nase. Sie würdigt das Foto nur eines knappen Blickes.
»Nein, den Mann kenne ich nicht. Vielleicht bin ich ihm mal begegnet, bei einer Premiere zum Beispiel, das will ich gar nicht ausschließen. Es ist sogar möglich, dass man uns einander vorgestellt hat, aber das geschieht so oft, dass ich mich unmöglich an jedes Gesicht erinnern kann.«
»Wissen Sie eigentlich, wem das Hotel gehört, in dem sie seit einem halben Jahr eine Suite gemietet haben?«
»Das
Hampton
? Nein.«
Der immer noch bockige Ton in Marie Nussbaums Stimme wird jetzt von einem irritierten Flackern in ihren Augen Lügen gestraft. Triumphierend nimmt Sven zur Kenntnis, dass es ihm gelungen ist, einen winzigen Keil in das Schutzschild seines Gegenübers zu treiben. Er hält noch einmal das Foto hoch und spart sich jedes Wort der Erklärung.
Die Schauspielerin wird blass.
»Das
Hampton
gehört Jonas Michelsen? Das wusste ich nicht.«
Sven schweigt und legt in einer ironischen Geste den Kopf schief. Er fühlt sich fast, als stünde er selbst auf einer Bühne.
»Sie müssen mir glauben«, beteuert die Schauspielerin jetzt. »Ich hatte wirklich keine Ahnung.«
»Warum haben Sie die Suite eigentlich gemietet? Das ist doch sicher nicht ganz billig.«
»Ein Weihnachtsgeschenk meines Mannes. Er ist Arzt, es geht ihm finanziell sehr gut.«
»Verstehe. Aber was war Ihr Grund für diesen Wunsch?«
»Ich brauche manchmal Ruhe nach den Aufführungen. Oder auch davor. Ich will dann allein sein und ungestört. Mein Mann und ich wohnen in Blankenese, und das Hotel liegt nicht weit vom Theater entfernt. Es bietet mir alles, was in solchen Situationen für meine Kunst angenehm ist.«
»Und vorgestern, am Freitag dieser Woche zwischen 17 und 19 Uhr, waren Sie da auch in diesem Hotel?«
»Sie fragen nach einem Alibi?«
»Wenn Sie es so nennen wollen …«
»Bin ich denn verdächtig?«
Zu dem Kleinkindblick gesellt sich eine beinahe spitzbübische Freude wie über eine unerwartete
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