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Frauen lügen

Frauen lügen

Titel: Frauen lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ehley
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ehrlicher, tiefer als wir, aber denken Sie sich in uns hinein, seien Sie nur ein klein wenig großzügig, schonen Sie mich.«
    Die zierliche Schauspielerin, die, obwohl sie längst die dreißig überschritten hat, immer noch die Ausstrahlung eines jungen Mädchens kultiviert, schiebt sich langsam an den Möbeln entlang, redet gegen die Spitzendeckchen an und in die ramponierten Kronleuchter hinein, die wie zufällig von der Decke hängen. Doch der Darsteller des Studenten Trofimow fällt aus der Rolle und wirft sich in einen klapprigen Louis-Seize-Sessel.
    »Mensch, Marie, kannst du mir das nicht ins Gesicht sagen? Ich bin völlig überflüssig, wenn du mich nicht ansiehst.«
    »Ist nicht persönlich gemeint, aber die Ingrid hat doch …«
    »Was habe ich?«
    Wieder kommt die heisere Stimme aus dem Dunkel zwischen Sven und der Bühne. Marie wendet sich um und redet in die Tiefe des bestuhlten Raumes.
    »Ingrid, hast du nicht gesagt, ich kann zu den Möbeln sprechen? Hast du nicht gesagt, ich soll sie berühren, als hätte ich ein Verhältnis mit ihnen?«
    Langsam gewöhnen sich Svens Augen an das fahle Licht, und er erkennt die Umrisse der Regisseurin, die einige Reihen vor ihm im Parkett sitzt. Sie hat Kopf, Hals und Schultern nach vorn gebeugt und stützt sich mit Ellenbogen und Unterarmen auf die Lehnen der nächsten Stuhlreihe.
    »Aber doch nicht an der Stelle! Wenn du ›schonen Sie mich‹ sagst, stehst du doch als Bittstellerin vor dem Studenten. Die Machtverhältnisse haben sich umgekehrt. Und deshalb siehst du ihn selbstverständlich an!«
    »Selbstverständlich.«
    Mit gespreizten Fingern fährt sich Marie Nussbaum durch die strähnigen Haare und baut sich vor ihrem Kollegen auf. Ihre Augen blitzen den Darsteller des Studenten Trofimow an.
    »Ich bin doch hier geboren, hier hat mein Vater gelebt, meine Mutter, mein Großvater, ich liebe dieses Haus, ohne diesen Kirschgarten kann ich mir mein Leben nicht vorstellen, und wenn es schon so dringend verkauft werden muss … Ach Scheiße!«
    »Eben«, kommt es sarkastisch aus der vierten Reihe, »jetzt, Marie, jetzt redest du von dem Haus, jetzt kannst du auch die Möbel ansehen. Nur wenn du von dir redest, dann sieh doch bitte Trofimow an.«
    »… und wenn es schon so dringend verkauft werden muss …« Die Hand der Gutsbesitzerin Ranewskaja fasst zärtlich nach dem Saum eines der Deckchen auf den Tischen, »… dann verkauft auch mich …« Ihre Finger krallen sich in einer plötzlichen Bewegung an der Spitze fest und ziehen das Deckchen fast zu Boden, »… dann verkauft auch mich, zusammen mit dem Garten …«
    Der Blick der Ranewskaja hebt sich, wandert langsam über Stühle, Tischchen und Kommoden, streift die schweren, dunklen Portieren und lehnt sich schließlich, von dem einen Sehnsuchtsziel unausweichlich angezogen, klagend gegen die wie beschlagen wirkenden Fenster, hinter denen sich der geliebte Kirschgarten verbirgt.
    »Hier ist doch mein Sohn ertrunken …«
    Beharrlich versuchen die Augen der Gutsbesitzerin, die gläsernen Scheiben zu durchdringen. Doch ihre fortwährenden Anläufe, die Bitten um Durchlässigkeit an immer wieder neuen Stellen, müssen vergeblich bleiben. Stumpf verwehren die Fenster den Zugang zum Garten.
    »Haben Sie Mitleid mit mir, Sie lieber, guter Mensch.«
    Matt und kraftlos klingt die Stimme und matt und kraftlos begegnen die Augen der Gutsbesitzerin dem Studenten Trofimow, dem ehemaligen Hauslehrer ihres toten Sohnes. Der fühlt sich aufgerufen, seiner einstigen Förderin Trost zu spenden.
    »Sie wissen, ich fühle mit Ihnen von ganzer Seele.«
    Die Ranewskaja seufzt und blickt ihr Gegenüber vorwurfsvoll an.
    »Aber das muss man anders, ganz anders sagen …«
    »Moment«, Ingrid steht auf, »euch ist doch hoffentlich klar, dass ihr hier verdammt aufpassen müsst, um euch keine Lacher aus dem Publikum einzuhandeln.«
    Es entsteht eine kurze Pause, in der die verzweifelte Gutsbesitzerin und der arme Student wieder zu Schauspielern auf einer Bühne werden. Marie Nussbaum und ihr Kollege stehen mit hängenden Armen am Bühnenrand und warten darauf, dass die Regisseurin weiterredet. Aber aus der vierten Reihe kommt nichts mehr. Da dreht sich die Schauspielerin in einer wütenden Pirouette und wirft ihren Körper in die Ecke eines klapprigen Sofas. Ihre Füße, die in Turnschuhen mit Plateausohlen stecken, schaben unruhig auf dem verblichenen Damast der Polsterung. Mürrisch schlägt sie vor: »Machen wir’s noch mal

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