Frauen lügen
Leben der Silja von und zu Blanck natürlich anders verlaufen. Lass mich raten: Ein Studium der Kunstgeschichte oder doch lieber Literaturwissenschaft? Irgend so ein nutzloses Fach wär’s dann geworden, und Madame würde sich nur kopfschüttelnd abwenden, wenn es um so etwas Ekliges wie Mord ginge.«
»Genau. Und wenn es um so etwas Eindimensionales wie dich ginge, vielleicht auch.«
Bastian Kreuzer stutzt nur kurz. Für wenige Sekunden spiegeln sich Entsetzen und Verletztheit in seinem Gesicht. Dann gewinnt eine oft erprobte Professionalität die Oberhand, und seine Züge erstarren zur Maske.
»Pass auf, ich will’s kurz machen. Wir haben es hier mit zwei Problemen zu tun. Und die sollten wir ab sofort schön säuberlich auseinanderhalten. Erstes Problem: Wir haben eine berufliche Differenz. Das kommt vor und lässt sich entweder ausdiskutieren oder hierarchisch lösen. Aber nicht hier und jetzt. Jetzt kümmern wir beide uns erst mal um das zweite Problem, und das scheint mir doch folgendes zu sein: Der kleinbürgerliche Macho hat peinlicherweise eine Affäre mit der Super-Ermittlerin ohne Fehl und Tadel. Dieses Problem lässt sich sehr schnell lösen. Heute Abend spätestens bin ich weg – aus deinem Privatleben und aus deiner Wohnung.«
»Bastian, jetzt komm wieder runter …«
»Ich bin schon ziemlich weit unten, danke der Nachfrage. Und mach dir bloß keine überflüssigen Sorgen, ich finde auch in der Hauptsaison ein Zimmer auf der Insel. Zur Not frage ich meinen Macho-Kumpel Sven, ob ich fürs Erste bei ihm unterkriechen kann. Gib mir eine Stunde Vorsprung, dann ist deine Wohnung wieder männerfrei.«
Ohne ein weiteres Wort wendet sich Bastian ab und macht sich auf den Rückweg zur Straße. Wie erstarrt blickt ihm Silja hinterher. Leise und mehr zu sich selbst sagt sie: »Aber du hast doch gar kein Auto hier …«
Doch da hat Bastian längst sein Handy gezückt und ein Taxi zum Parkplatz an der Straße bestellt.
Samstag, 20 . August, 16.20 Uhr,
Hafencity, Hamburg
Das Rundfahrtschiff tuckert direkt auf den Neubau der Elbphilharmonie zu. Wie der Bug eines Ozeanriesen ragt die Spitze des Gebäudes steil und hoch aus dem Wasser, das zu beiden Seiten des Gebäudes fließt. Auf einem backsteinroten Sockel, der allein schon die fünffache Höhe des Ausflugsschiffes hat, erhebt sich ein vielstöckiger gläserner Aufbau, dessen Spitzen wie Himmelswellen in die Wolken zu stechen scheinen. Sven Winterbergs Ehefrau Anja stößt einen Ruf der Überraschung aus.
»Hast du dir das so überwältigend vorgestellt, Sven?«
»Nee, nicht wirklich. Jetzt wird mir auch klar, warum den Hamburgern ständig das Geld ausgeht. Das ist ja ein Wahnsinnsunternehmen, so ein Gebäude mitten ins Wasser zu setzen.«
Die beiden Winterbergs stehen ganz vorn auf dem niedrigen Schiff, das angesichts des monströsen Baus klein und hilflos in den Wellen dümpelt. Sven hat den Arm um die Schultern seiner Frau Anja gelegt, die mit ihrem stämmigen Körperbau fast massig neben dem zierlichen Kommissar wirkt. Ihre zu einem Pferdeschwanz gebundenen mittelblonden Haare, die eben noch im Fahrtwind geflattert sind, kommen plötzlich zur Ruhe, denn gerade drosselt der Kapitän des Rundfahrtschiffes die Motoren, und eine klinisch-perfekte Frauenstimme aus dem Bordlautsprecher erläutert die Baugeschichte der Elbphilharmonie. Sie redet von der 82 Meter langen Rolltreppe, der grandiosen Plaza und dem Wundersaal mit geplanten 2150 Sitzplätzen. Die Information, dass die Kosten dieses Prestigeprojekts schon jetzt bei einer halben Milliarde Euro liegen, rund zwei Drittel davon seien Steuergelder, geht im Lärm der wieder anspringenden Motoren weitgehend unter. Das Ausflugsboot schippert jetzt rechts an der Konzerthalle vorbei, so dass wenig später der Marco-Polo-Tower ins Blickfeld der Touristen gerät. Wieder spuckt der Lautsprecher Informationen zu baulichen Details und zu den Mietpreisen des Luxusdomizils aus.
»Stell dir mal vor, du stehst auf einem dieser Balkone und guckst über die Elbe. Das muss doch traumhaft sein«, ruft Anja Winterberg aus.
»Dann hättest du aber als Managerin Karriere machen oder dir einen anderen Ehemann suchen müssen, meine Liebe. Für Otto-Normalverbraucher haben die hier keinen Platz.«
»Weiß ich doch. Ich will außerdem gar nicht aus Sylt weg. Hier wären mir auf Dauer entschieden zu viele Menschen.«
Das Ausflugsschiff ist mittlerweile in den schmalen Wasserarm zwischen Philharmonie und Tower
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